„Im Schreiben rege ich mich selbst an.“ Caroline de la Motte Fouqué wieder und neu lesen
Organisiert von Anne Pollok, Barbara Thums (Johannes Gutenberg-Universität Mainz), Barbara Gribnitz und Viviane Jasmin Meierdreeß (Kleist-Museum, Frankfurt a.d.O.)
Caroline de la Motte Fouqué (1775-1831) war in ihrer Schaffenszeit eine der bekanntesten deutschsprachigen Schriftstellerinnen. Der Neue Nekrolog der Deutschen widmete ihr einen Eintrag, und 1831 hatte selbst die Leihbibliothek im hessischen Kassel 69 Bände ihrer Werke im Bestand (Schmidt, 2003). Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts ‚verschwanden‘ Caroline de la Motte Fouqués Werke aus der öffentlichen Wahrnehmung, sie wurden nicht in den Kanon romantischer Literatur aufgenommen. Ausgehend von Impulsen der seit den späten 1960er Jahren artikulierten Kanonkritik und den feministischen sowie Gender Studien erhielten Autorinnen der Romantik in den letzten Jahrzehnten vermehrt Aufmerksamkeit, wobei Fouqué, anders als Dorothea Veit/Schlegel, Caroline Schlegel/Schelling, Rahel Levin/Varnhagen, Bettina Brentano/von Arnim, Sophie Mereau/Brentano nicht zur ersten Welle der ‚Wiederentdeckungen‘ gehörte. Etwas verzögert wandte sich das Interesse in einem zweiten Schritt auch unbekannteren Schriftstellerinnen dieser Generation zu; Schriftstellerinnen, die explizit als Frau für Frauen schrieben und daher den in thematischer und ästhetischer Hinsicht abwertenden Stempel ‚Frauenliteratur‘ erhalten hatten (und noch besitzen): Therese Forster/Huber, Caroline Auguste Fischer, Caroline Pichler, Friederike Helene Unger, Fanny Tarnow, Caroline de la Motte Fouqué. Im Zentrum der Beschäftigung standen vor allem Fragen nach der Besonderheit weiblichen Schreibens sowie den aus der Geschlechterideologie des späten 18. und 19. Jahrhunderts erwachsenen Einschränkungen und Wertungen. In diesem Zusammenhang entstanden auch Editionen einzelner Werke: Der Olms-Verlag widmete Fouqué eine dreibändige Reprintausgabe, die Erzählungen, Schriften zur Bildung und den Roman Resignation umfasst; in der Reihe „Frühe Frauenliteratur in Deutschland“ kam der Roman Magie der Natur heraus, und die in Kooperation mit dem Kleist-Museum herausgegebene „Kleine Reihe Caroline de la Motte Fouqué“ stellte exemplarische Werk- und Briefausschnitte im handlichen Format zur Verfügung. Das verdienstvolle Projekt einer (allerdings nur unzureichend kommentierten) Werkausgabe musste nach 11 Bänden eingestellt werden. Es fehlen historisch-kritische Textausgaben als Grundlage für die Aufnahme der Werke Caroline de la Motte Fouqués – im Sinne eines breiten Kanons (#breiterkanon) – in die wissenschaftliche Forschung und Lehre.
Diesen Prozess anzustoßen, Impulse sowohl für weiterführende, vergleichende und systematische Untersuchungen als auch für editorische Projekte zu geben, setzt sich die Tagung zum Ziel. Inhaltlich fügt sich die Tagung in die von Frederike Middelhoff und Martina Wernli initiierte Workshopreihe „Kalathiskos. Autorinnen der Romantik“, die sich zur Aufgabe macht, unbekannte, der Romantik zuordenbare Texte in die Forschungsdiskussion einzubinden und bekanntere Texte einer Relektüre zu unterziehen. Caroline de la Motte Fouqués Texte einer ersten und/oder erneuten Lektüre zu unterziehen, bedeutet deshalb die bislang vorherrschende Diskussion geschlechtsspezifischer Fragen um aktuelle theoretische Zugänge zu erweitern und sie dabei auch im Horizont einer aktuellen internationalen und interdisziplinären Romantikforschung zu diskutieren, die Fragen nach ästhetischen, poetologischen, philosophischen, politischen und soziologischen Dimensionen romantischer Texte zuletzt vermehrt in Bezug auf Konzepte der Environmental Humanities und der Wissensgeschichte, aber auch auf solche der Migration Studies und Globalisierungsgeschichte gestellt hat.
Mögliche Themen der Tagung sind:
1) Positionierung der Autorin im literarischen Feld
Nicht zuletzt im Kontext von E.T.A. Hoffmanns Urteil über Caroline de la Motte Fouqué „Sie ist als Hausfrau besser, als sich drucken lassen“ lässt sich fragen nach:
- dem Verhältnis von Selbst- und Fremdaussagen
- den Strategien der Verlagsverhandlungen
- dem Verhältnis von Marktorientierung und Kunstanspruch, von Literatur und Geselligkeit
- Caroline de la Motte Fouqué als ‚Frau der Romantik‘ und/oder Schriftstellerin der Zeit
- den erschwerten Bedingungen und Möglichkeiten der Trennung von Autorin und Werk
2) Genre und Geschlecht
Caroline de la Motte Fouqué verfasste rund 60 Erzählungen, 20 Romane und 3 Dialoge sowie Gedichte, aber keine Dramen. Ausgehend davon kann thematisiert werden:
- der Stellenwert von Gattungsgeschichte-, traditionen- und -reflexionen
- Genreadaptionen (Bsp. Schauerromantik; Zeitroman / historischer Roman; Einordnung Caroline de la Motte Fouqués als weiblicher E.T.A. Hoffmann)
- das Spannungsfeld von spätromantischer Ästhetik und realistischer Erzählkunst
- das Verhältnis von Sujet und Geschlecht (bspw. ‚weibliche‘ Liebe vs. ‚weibliche‘ Leidenschaft)
- Entwicklungslinien vom Früh- zum Spätwerk
3) Intertextualität, Wissensgeschichte und romantische Salonkultur
Caroline de la Motte Fouqué nahm am höfischen Leben in Berlin teil, unterhielt einen literarischen Salon und stand in Austausch u.a. mit Adelbert von Chamisso, Rahel Levin/Varnhagen, E.T.A. Hoffmann, Karl August Varnhagen von Ense, August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schleiermacher. Aspekte der Wissenszirkulation und ihrer Literarisierung führen zu Fragen nach:
- dem Zusammenhang von romantischer Salonkultur und Schreibweisen der Romantik
- Bezugnahmen auf (zeitgenössische) Autor:innen und ästhetische Konzepte
- Formen und Funktionen von Intertextualität
- Gegenwart erzählen um 1800
- Aneignungen und Transformationen zeitgenössischen Wissens aus Natur- und Geschichtsphilosophie, Naturwissenschaften und Künsten
- damit verbundene Verschiebungen und Umorientierungen im literarischen Schaffen
4) Politik, Geschichte und Ästhetik
Insbesondere in Caroline de la Motte Fouqués Romanen, die ihr historisches Denken reflektieren, sind die Grenzen zwischen historischen und Zeitromanen fließend. Das Verhältnis von Politik, Geschichte und Ästhetik erscheint deshalb mit Bezug auf folgende Aspekte ergiebig:
- Darstellungen der Französischen Revolution, der Napoleonischen Kriege und der Reformation
- Ästhetiken und Poetiken der (Adels)Emigration und des politischen Exils
- Figurationen der Krise und Verunsicherung
- Politik, Geschlecht und Medien (z.B. politische Texte wie Ruf an die deutschen Frauen, 1813 oder Über deutsche Geselligkeit in Antwort auf das Urtheil der Frau von Staël, 1814)
- Dimensionen und Perspektiven des Kulturtransfers um 1800
5) Weibliche Bildung und Kulturgeschichte
Caroline de la Motte Fouqués drei explizit an Frauen gerichtete Bildungsschriften scheinen zum einen zeitgenössische Vorstellungen der Geschlechterdifferenz zu affirmieren. Zum anderen erweisen sie sich jedoch als wesentlich komplexer, insbesondere im Kontext der kulturgeschichtlichen Arbeiten der Autorin. In dieser Perspektive rücken Themen wie diese in den Blick:
- Darstellungsweisen und -strategien von ‚Weiblichkeit‘
- Natur und Kultur im Spannungsfeld von Philosophie und Geschlechterpolarität
- Tradition und Subversion von Geschlechternormen u.a. im Horizont des Adels
- Vergleiche mit Positionen u.a. von Joachim Heinrich Campe, Theodor Hippel, Betty Gleim oder Amalia Holst
- ‚weibliche‘ Kulturgeschichte (Geschichte der Moden, 1831) vs. ‚männliche‘ Kulturgeschichte (Blick auf Gesinnung und Streben in den Jahren 1776-1778, 1830)
- Spezifik und Aktualität von Caroline de la Motte Fouqués kulturhistorischem Denken und Schreiben
Die Tagung wird vom 15.-17. Mai 2025 im Kleist-Museum in Frankfurt (Oder) stattfinden. Fahrt- und Übernachtungskosten können voraussichtlich übernommen werden.
Die Beiträge der Tagung werden nach positiver Begutachtung in der Reihe „Neue Romantikforschung“ des Metzler-Verlages (hg. von Roland Borgards, Frederike Middelhoff, Martina Wernli) veröffentlicht.
Wir freuen uns auf Beitragsvorschläge (max. 2500 Zeichen) bis zum 31. Oktober 2024.