Claudia Stockinger , 02.08.2022

Ermöglichungsbedingung (früh-) romantischer Programmatik

Zur Rolle des Dorfs in Ludwig Tiecks „Peter Lebrecht“ und „Die Freunde“

(I)

Die Romantik entsteht in urbanen Räumen. Die Natur, die sie entwirft, bleibt ein abstraktes Imaginäres, ein Experimentierfeld für sei es idyllische, sei es verstörende Seelenzustände; und die Wälder, die sie – in der ‚Waldeinsamkeit‘ Tiecks oder im ‚Waldesrauschen‘ Eichendorffs – literarisch mit allen Sinnen erlebbar macht, hat es um 1800 so schon nicht mehr gegeben. [1] Zugleich schildern romantische Texte Bewegungen zwischen den Räumen. Das Ländliche ist Ausgangspunkt eines (nicht selten) fluchtartigen Aufbruchs, die Großstadt Ziel der Reisen, und schon „das Kleinstädtische“ [2] erfüllt zumindest die Angehörigen der ersten Romantiker*innen-Generation mit Abneigung. Wie aber sieht es mit jener Organisationsform aus, die als (vermeintlich oder tatsächlich) ursprüngliche Weise zwischenmenschlichen Zusammenlebens in den seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert virulenten Debatten über die Merkmale einer ‚deutschen Nation‘ besondere Aufmerksamkeit erhalten musste, aber erst ab 1840er Jahren in der ‚Dorfgeschichte‘ zum Schauplatz eines eigenen Erzählgenres wurde? Welche Rolle also spielt im Setting romantischer Erzählungen ‚das Dorf‘? Dieser Frage gehe ich im Rahmen meines Forschungsprojekts zur Ruralen Romantik gemeinsam mit Mitgliedern des Jenaer DFG-Graduiertenkollegs Modell Romantik nach, und der hier vorliegende Impuls gehört in diesen Kontext. [3] Geleitet werden meine Projekt-Überlegungen insgesamt von der These, mit ‚dem Dorf‘ liege eine zentrale Ermöglichungsbedingung (früh-)romantischer Programmatik vor. Dass dies von deren ersten Anfängen an gilt, möchte ich im Folgenden am Beispiel von Tiecks frühen Prosastücken Peter Lebrecht und Die Freunde zeigen, die erstmals 1795/96 bzw. 1797 bei Nicolai veröffentlicht worden sind. Dafür soll zunächst kurz die Frage nach der epochalen Position der Texte zwischen (Berliner) Spätaufklärung und Frühromantik behandelt werden (II.a Peter Lebrecht, II.b Die Freunde), um dann den Funktionen des darin auf je spezifische Weise eingesetzten ‚Dorfs‘ nachzugehen – Peter Lebrecht benötigt den Handlungsraum ‚Dorf‘, um auf möglichst effektive Weise die Mechanismen des zeitgenössischen Literaturbetriebs zu satirisieren (III.a); und in Die Freunde ist es in absentia ‚mächtig‘, weil deren Protagonist, Ludwig Wandel, der an einem „schöne[n] Frühlingsmorgen“ aufbricht, „um auf einem Dorfe, das einige Meilen entfernt war, einen kranken Freund zu besuchen“ [4], dort nie eintrifft (III.b).

(II) Der epochale Ort

Die Forschung situiert Tiecks frühe Prosa in der Regel „an den Grenzen der Aufklärung“ [5], begründet etwa damit, dass ausgerechnet der Doyen der Berliner Aufklärung, der Verleger Friedrich Nicolai, sowie sein Sohn Carl August sich dieser Texte angenommen haben. [6] Aufklärungskritische Tendenzen der frühen Texte Tiecks [7] führen als Teil des spätaufklärerischen Diskurses nicht schon in die Romantik. Anders verhält es sich in dieser Hinsicht mit „Tendenzen, die von der Aufklärungsintention abweichen“ [8] und im Zuge der Veröffentlichungen Tiecks bei Nicolai an Deutlichkeit zunehmen. [9] Der Roman Peter Lebrecht mag den Erwartungen des Verlags entsprochen haben, weil er den zeitgenössischen Literaturbetrieb aufs Korn nimmt. Er geht darin aber nicht auf (II.a). Zu Die Freunde findet sich in der Forschung die nicht widerspruchsfreie Position, durch die an Tiecks Lehrer Karl Philipp Moritz‘ geschulte „Einbindung der Kindheit, des Traumes, der Phantasie und der Dichtkunst in einen ganzheitlichen Zustand“ unterscheide sich der Text „wesentlich von den Lebensentwürfen der Aufklärung“ [10] – obwohl doch Moritz‘ psychologische, genauer ‚erfahrungsseelenkundliche‘ Entwürfe die Anthropologie der Berliner Spätaufklärung konzeptionell-programmatisch bestimmte, deren Erwartungshorizont mithin gerade (noch) nicht transzendierte. [11] (II.b)

(II.a) Peter Lebrecht

Die Erzählanordnung von Peter Lebrecht mit ihren auffälligen Rahmungen und Zwischenstücken in der Gestalt und Funktion von Leser*innen-Anreden, -Umwerbungen und -Beschimpfungen bewährt sich als für die Satire geeignetes Verfahren, indem es das populäre Leser*innen-Interesse an unterhaltsamen, spannenden, rührenden Texten etc. permanent aufruft und darstellerisch doch wieder unterläuft. Auf schauerromantische Effekte setzende Bestseller der 1790er Jahre wie Carl Grosses Der Genius, die Tieck selbst (sicherlich mit einer Art wollüstig-ironischem Entsetzen) verschlungen und in einer offensichtlich nervenaufreibenden Nachtsitzung seinen Freunden vorgelesen hatte, [12] werden zur Negativfolie des Romans. Peter Lebrecht entwirft sich programmatisch als eine Art ‚Anti-Grosse‘: „Um kurz zu sein, lieber Leser, will ich dir nur mit dürren Worten sagen: daß in der unbedeutenden Geschichte meines bisherigen Lebens, die ich dir jetzt erzählen will, kein Geist oder Unhold auftritt; ich habe auch keine Burg zerstört, und keinen Riesen erlegt; sei versichert, ich sage dies nicht aus Zurückhaltung, denn wäre es der Fall gewesen, ich würde dir alles, der Wahrheit nach, erzählen“ (T 1, 76; Hervorhebungen C. S.).

Der hier in programmatischer Verve gegen die zeitgenössische Unterhaltungsliteratur dezidiert als ‚langweilig‘ bzw. ‚uninteressant‘ gelabelte Peter Lebrecht setzt sich allerdings zu Friedrich Nicolai selbst in Opposition, wenn die aktuelle Aufmerksamkeit für „Reisebeschreibungen“, die der Verleger voluminös bediente, [13] in einem gleichnamigen Kurzkapitel des Romans sowohl aufgerufen als auch düpiert wird. Der homodiegetisch erzählende Lebrecht bietet Nicht-Reiseliteratur an, indem er die Stationen seiner Bildungsfahrt nur ansteuert, um diese erzählerisch umgehend wieder zu verlassen. Mögen die Reisen zwar stattgefunden haben, so wird dem Genre Reiseliteratur doch eine Absage erteilt: „[…] und darum will ich lieber gar nichts davon sagen“, bezogen auf „Deutschland“, und in „Italien“ erlebte er „mancherlei Abenteuer, die aber zu weitläuftig sind, als daß ich sie hier erzählen könnte“ (T 1, 123). Darüber hinaus wird auf Nicolais Kampf gegen „Irrationalität und Schwärmerei“ [14] angespielt – dieser regelrechte Feldzug der Spätaufklärung kommt in Tiecks frühem Roman dann aber ausgerechnet vor seinem Heimatdorf zum Erliegen. Auf seiner Lebenswanderschaft findet sich Lebrecht nämlich unversehens in jener Umgebung wieder, in der er „seine Kindheit zugebracht hatte“. Das vor ihm liegende „Dörfchen“ betrachtet er jetzt in einer ganz unkritisch, affirmativ angedeuteten „Art von Schwärmerei“, die ihn erst zu „freudenvollen“ Reaktionen veranlasst und schließlich ganz „still“ werden lässt, weil die „Heimat meiner Jugend“ detaillierte Ortskenntnis, Vertrautheit mit Natur sowie Dingen und auf dieser Grundlage durchweg „angenehme Erinnerung[en]“ evoziert (T 1, 112). Von hier aus sei er, wie er sagt, „ausgegangen, in die Welt hinein, und ich kam jetzt zurück in meine Heimat, klüger, aber bei weitem unglücklicher“ (ebd.). Kurz: Der Text selbst liefert gute Gründe, sich diesem ‚Dorf‘ – als je individualisierbarem Ausnahmeort, der zugleich epochal Neues initiiert – auch in der Forschung endlich einmal genauer zuzuwenden.

(II.b) Die Freunde

Für die Frage nach dem epochalen Ort von Die Freunde wiederum lohnt zunächst ein Blick auf die kleine Vorrede und noch kürzere Nachrede, mit der „der Verfasser“ – ob es sich dabei um den ‚Autor‘ im Sinne einer eingetragenen Autorfiktion oder um den Erzähler handelt, wird offen gelassen – die Erstveröffentlichung des Textes in Nicolais Straußfedern-Sammlung umstellt. [15] Ließen sich diese beiden Texte publikationslogisch-materiell als lediglich paratextuelle, verzichtbare Anreicherungen der Erzählung verstehen, wäre Letztere als ‚der eigentliche Text‘ zu qualifizieren. Allerdings wird schnell deutlich, dass sie dem eigenen Selbstverständnis nach für die Erzählung Die Freunde die Funktion einer Rahmung übernehmen, ja, mehr noch, dass sie mit Blick auf das in der Erzählung geschilderte Geschehen narratologisch gesagt eine Pause darstellen.

Ableiten lässt sich dies aus dem Umstand, dass „[d]er Verfasser“ in der einleitenden Ansprache den Leser um „Erlaubniß“ bittet, „diesen Theil [der Reihe Straußfedern, C. S.] mit einem kleinen Traume, mit einem Spiele der Phantasie beschließen zu dürfen“ (S. [207]). Die Vor- und die Nachrede bilden demnach die erste, extradiegetische Ebene der Erzählung in Form eines ‚Erzählerkommentars mit Leseranrede‘ (A). Wandels Reise, also sein Auszug und die finale Reunion mit dem Freund, findet somit auf der zweiten, intradiegetischen Ebene statt (B), die wiederum gerahmt angelegt ist, indem die Reise den Beginn und das Ende teils ebenfalls gerahmt organisierter Traumsequenzen (Wandels bereits erwähnte Ruhe-Zeiten) auf meta-, meta-meta- sowie meta-meta-metadiegetischer Ebene markiert (C). Die Vorrede (Ebene A) erklärt mithin die sonst üblicherweise solitär überlieferte Erzählung Die Freunde im Ganzen (Ebene B) zu einem „Traum“ und „Spiel[ ] der Phantasie“ (ebd.), also nicht nur deren Binnenteile (Ebene C), die ja, wie bereits erwähnt, größtenteils aus Träumen bestehen. Die Wiederbegegnung der Freunde am Schluss der Erzählung mündet dann auch konsequenterweise in den Hinweis „Hier ist mein Traum aus, lieber Leser“ (S. 231), was den tatsächlichen intradiegetischen Status von Die Freunde ebenso wie den Kontrast zu den späteren Veröffentlichungen des Textes noch verstärkt.

Dabei wird Die Freunde explizit in einem Bereich angesiedelt, der für den ‚romantischen‘ Tieck von fundamental-programmatischer Bedeutung gewesen ist: im Bereich des „Wunderbare[n]“ (ebd.). [16] „Erinnerungen“, also Vergangenes, und „Ahndungen“, also Zukünftiges, spielen dafür ebenso eine Rolle wie Merkwürdigkeiten, die den diese erzeugenden Autor in die Nähe eines Alter-Deus rücken („oder wir erschaffen uns seltsame Welten, die wir zu unserm Spiele entstehn und vergehn lassen“, ebd.). Auf eine aufklärerische Wirkabsicht scheint dieses Erzählen, das sich in seinen Besonderheiten sowohl einführt und erklärt als auch entschuldigt, dezidiert nicht abonniert zu sein. Ein „rechter Zusammenhang“ in „allen diesen Fiktionen“ (ebd.) jedenfalls werde der ‚Traum‘ nicht bieten [17] – die zentrale Zielvorgabe des aufklärerischen Romans [18] erscheint in der Tiecks Die Freunde einleitenden Leseranrede nur in der Negation; an deren Stelle rücken jetzt zentrale Erwartungen an einen genuin romantischen Roman. [19]

Darüber hinaus lohnt es sich, für die Frage nach dem epochalen Ort von Die Freunde ein Blick auf die im Text eingesetzten Bilder, Topoi und Modi der Sagbarkeit zu werfen. Deren spezifische Auffälligkeiten verführen gelegentlich zur Annahme, wir würden auf Erzählungen Eichendorffs vorausverwiesen, wenn es etwa heißt: „Der Wald öffnete sich und seitwärts lagen auf dem offenen Felde einige alte Ruinen, mit Warttürmen und Wällen umgeben“ (T 1, 63); wenn ‚Nachtigallen‘ und ‚einsame Felder‘ den Wanderer begleiten (ebd., 64); wenn synästhetisch fundierte Traumszenerien sich ‚öffnen‘ (ebd., 65) und eine „unbeschreibliche Sehnsucht“ provozieren (ebd., 69); oder wenn sich der Gebrauch des Konjunktivs in Schlüsselaussagen häuft, die als eine Art romantische Trigger fungieren („da war es, als wenn ein Posthorn in der Ferne ertönte“, ebd.). Schließlich trifft Ludwig Wandel den Freund nicht zunächst in dessen Dorf, sondern im Traum: in einem „romantischen Gebirge“ (ebd., 70), das die epochale Beweglichkeit des Textes kategorial bereits unterstreicht und neu justiert. Wie bereits angedeutet, macht sich Wandel zu seinem Freund auf, trifft dort aber nicht ein, vielmehr dehnt sich der Weg auf unvorhergesehene, erschöpfende Weise; Wandel möchte sich ausruhen, er schläft ein. Das Ziel der Reise selbst verharrt im Modus der Ankündigung, die zwar wenigstens im Finale als zukunftsgewiss behauptet wird, [20] im vorliegenden Text selbst aber – wie die moderne Poesie selbst, die A.W. Schlegel zufolge eine Poesie der Sehnsucht ist – [21] nicht dingfest gemacht werden kann: jenes ‚Dorf‘ eben, das als Kulminationspunkt der erzählerischen und programmatischen Perspektiven des Textes in den Forschungsarbeiten bislang schlichtweg ausgeblendet wurde.

(III) Das Dorf in Peter Lebrecht und Die Freunde. Vorkommen und Funktionen

(III.a) Peter Lebrecht

Dass der Text in der satirisch-polemischen Stoßrichtung gegen den zeitgenössischen Literaturbetrieb, von dem er sich so vielfältig beredt distanziert, nicht aufgeht, lässt sich bereits einer Bemerkung des Erzählers zu Beginn entnehmen, in der die Kritik am Produktions- und Rezeptionsverhalten der Zeit in eine bezeichnende Raum- und Bewegungsmetaphorik überführt wird. Sie ist gerade für die Frage nach Vorkommen und Funktionen ‚des Dorfs‘ in Peter Lebrecht von Bedeutung: „Nein, ich vermeide diese geräuschvolle Landstraße, und schlage dafür lieber einen kleinen Fußsteig ein – was tut’s, wenn ich auch ohne Gesellschaft gehe“ (T 1, 76). Gezielt und explizit wird dabei benannt wie subvertiert, was das zeitgenössische Literatursystem als ‚interessant‘ [22] codiert, „Revolutionen, Kriege, Schlachten, und höllische Heerscharen“ (ebd.) oder was eben sonst noch die Sensationslust befriedigt. [23]

Diese Codierungspraxis ‚um 1800‘ ruft der Erzähler selbst immer einmal wieder – ironisch – ins Gedächtnis und legt sie auf diese Weise als Normalitätserwartung zugleich fest, v. a. dann, wenn er Publikumsreaktionen antizipiert: „‚Gottlob!‘ hör ich die ungeduldigen Leserinnen rufen, indem sie dies Kapitel aufschlagen, ‚der langweilige Mensch fängt nun vielleicht an interessanter zu werden!'“ (T 1, 92). Indem er behauptet, nichts Faszinierendes erlebt und zu berichten zu haben, mithin nur den Ennui bedienen zu können, zieht der Erzähler doch alle Register des zeitgenössischen Unterhaltungsromans: Er ist, wie er erfährt, nicht bei den eigenen Eltern, sondern nur bei „Pflegeeltern“ aufgewachsen (T 1, 80), verliebt sich, wie sich später (ebd., 129) herausstellt, in seine eigene Schwester; eine Heirat der beiden wird – im Nachhinein gesagt: zum Glück – nur durch den Zufall einer Brautentführung verhindert (ebd., 104) etc. Vor diesem Hintergrund wird, so meine These, die Entscheidung für ‚das Provinzielle‘ als Handlungsraum und für ‚das Dorf‘ als dessen verdichteter Kulminationspunkt gegen den herrschenden Publikumsgeschmack und damit gegen aktuelle buchhändlerische Erfolgsgarantien gefällt. Statt also wie ein populärer Romanheld der Zeit „melancholisch“, „engbrüstig“, „verliebt“ oder ‚enthusiasmiert‘ [24] zu sein, ‚wohnt‘ der homodiegetische Erzähler Lebrecht „auf einem kleinen Landhause, in einer ziemlich schönen Gegend“ (T 1, 77); aufgewachsen ist er – an eben dieser Stelle setzt die Geschichte ein – „in einem kleinen Hause eines Dorfes“ (ebd., 78). Die dörfliche Sozialisation besteht in der Mitarbeit „auf dem Felde“ (ebd., 79) oder im Haushalt, und die umgebende Landschaft (die „Gegend des Dorfes war schön und abwechselnd“, ebd.) wird zum bedeutsamen Faktor der Selbstverständigung auf „einsamen Spaziergängen“ (ebd.) – genauer zu einem Auslöser dafür, die so erkundeten Grenzen zu überschreiten, „etwas mehr zu wissen und zu erfahren, als ich bisher gelernt hatte“ (ebd.). Da religiöse Praktiken wie das Rosenkranzbeten zur dörflichen Normalität gehören (ebd.), wendet sich das Interesse zunächst einmal dem Priesterberuf zu; später sollte es sich von der Theologie auf die Philologien und die Philosophie sowie Jura hin verschieben (ebd., 81).

Zu diesem Zeitpunkt hat Lebrecht das Dorf aber längst verlassen, zunächst zur weiteren Ausbildung auf dem Gymnasium, dann an der Universität (ebd., 80). Auch auf seinem weiteren Lebensweg – wie viele Erzählungen um 1800 ist Peter Lebrecht eine Weges-Erzählung, stets sind die Protagonisten unterwegs, zu Fuß, zu Pferd, in einer Kutsche; sobald sie angekommen sind und sich niedergelassen haben, endet meist die Geschichte – [25] scheint das Dorf immer wieder durch. Es wirkt wie ein Palimpsest in der Funktion einer Deutungshilfe, eines Rückzugs oder eines Ankers und ruft dadurch überkommene Topoi des Landleben-Lobs [26] auf:

  • Kippt die Kutsche des Reisenden, weil der Fuhrmann zu viel getrunken hat, sind schnell einige Bauersleute zur Stelle, um zu helfen (T 1, 84);
  • sein spezifisches Selbstbewusstsein als eines auf dem Dorf sozialisierten Bauern bringt dem Erzähler in der Auseinandersetzung mit dem adligen Konkurrenten um die Gunst Louises entscheidende Vorteile (T 1, 96) [27];
  • sein Rechtsbewusstsein ist ebenfalls spezifisch dörflich fundiert (wenn es etwa darum geht, dass adlige Jagden „mutwillig […] ganze Saatfelder zerstampfen, und […] sechs Äcker, die Hoffnung von sechs Familien, verderben“, T 1, 109) [28];
  • Stadterfahrungen zu machen heißt in Kontrast zur bevorzugten Existenzform, Hektik kennenzulernen, Gedränge, Eitelkeiten, den Schein, Zustände des ‚Außer-sich-Geratens‘, des in diesem Sinne Inhumanen; erst wenn es gelinge, das „Gewühl“ hinter sich zu lassen, findet sich auch Peter Lebrecht (als das hier erzählende Ich) wieder und erkennt, „wie elend klein“ der städtisch-soziale Raum „gegen Gottes freie große Welt ist“ (T 1, 85, vgl. auch ebd., 142, 145);
  • nicht in der „dunkeln, geräuschvollen Stadt“ (T 1, 103) soll deshalb geheiratet werden, sondern auf dem mit ‚Helligkeit‘ assoziierten Land; „alle Einwohner des Dorfes“ feiern mit (ebd.), es wird zum Schauplatz zunächst größten Glücks, dann größten Unglücks, weil die geliebte Braut kurz vor der Eheschließung verschwindet und verschwunden bleibt, vergeblich macht sich „das ganze Dorf“ (ebd., 104) auf die Suche.

Dass genau darin wieder ein höheres Glück liegt – wodurch zugleich das Spiel mit dem im populären Abenteuerroman ohnehin arg strapazierten ‚Zufall‘ endgültig auf die Spitze getrieben wird: „oh, der Zufall ist ein herrliches Ding“ (T 1, 123) –, stellt sich, wie gesagt, erst später wie nebenbei heraus: Der adlige Konkurrent hatte Louise entführt und so nolens volens eine Inzest-Heirat verhindert (T 1, 129).

Insgesamt installiert der Roman ‚das Dorf‘ nicht nur als Ausgangsort, sondern auch als Zwischenstation sowie als Rückzugs-, Erinnerungs-, Orientierungsraum auf der Suche nach dem je angemessenen Lebens-Ziel; kommt der Wanderer dort gelegentlich an, ‚erwacht‘ er „wie aus einem Traum“ (T 1, 112) in die für ihn eigentliche Realität. Dass die Beschreibung seiner Reisen durch Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien und England (vgl. T 1, 122–124) so lapidar kurz ausfallen, lässt sich aus meiner Sicht gerade deshalb nicht allein mit dem Hinweis auf das programmatische Interesse an einer Literaturbetriebssatire erklären, die, wie ebenfalls bereits gesagt, auch vor Nicolai nicht haltmacht. Vielmehr verdeutlicht der Roman, dass die Lehren des Reisens – Reisen irritiert Normalitätserwartungen und macht diese als Ergebnisse von Normalisierungsprozessen erkennbar – sich auch auf dem Dorf und im Umgang damit erlernen lassen. Manchen mühsamen Weg, den die aktuelle Reiseliteratur doch so freigebig bedient, könnte man sich ersparen: „Das wunderbare Utopien liegt oft dicht vor unsern Füßen, aber wir sehn mit unsern Teleskopen darüber hinweg“ (T 1, 125). Die im Text ausgestellte Dorf-Logik plausibilisiert damit erstens eine Haltung, der es gelingt, „das Gewöhnliche fremd zu machen“ (ebd.), und steht dem verbreiteten Lektüreinteresse entgegen, das von einem „Widerwillen“ der Leser*innen „gegen die Welt, die sie umgibt“ (T 1, 146), zeugt. Zweitens baut sie eine Brücke hinüber zu einer (epochal neuen) Poetologie, in der die ‚Romantisierung der Welt‘ zu einer zentralen Idee avanciert. [29] Wer aber, wie die Leser*innen seiner Zeit, dafür „kein poetisches Auge“ (T 1, 146) hat, ist, so Tiecks frühe Diagnose in Peter Lebrecht, für solche Ideen verloren.

(III.b) Die Freunde

Dass in Die Freunde ‚das Dorf‘ in seinen vielfältigen Erscheinungsweisen und Funktionen bislang ebenfalls unbeachtet blieb, [30] erstaunt erst auf den zweiten Blick. Schließlich rückt der Text eine Umgangsweise mit dem Dorf ins Zentrum, die auf dessen Invisibilisierung und faktische Nicht-Präsenz setzt. Meine These lautet: Die Abwesenheit des Dorfs wird zum dramaturgischen Impulsgeber und Schlüssel des Textes; die Figur des ‚Dorfs in absentia‘, des in seiner Abwesenheit mächtigen Dorfs, wird handlungsleitend.

Die Erzählung setzt mit dem Hinweis auf Ludwig Wandels Abreise ein: Wandel macht sich auf den Weg. Der Ausgangspunkt selbst bleibt zwar offen (wir wissen also nicht, wo er herkommt), der Grund sowie der Zielpunkt seiner Wanderung aber nicht: der ‚kranke Freund‘ und dessen ‚Dorf‘ (T 1, 61). Den extradiegetischen Teil von Ebene B [31] bestimmt die Beschreibung des Wegs auf das Dorf zu. Deren intradiegetischer Teil, der, wie erwähnt ins Metadiegetische wechselt (Ebene C), übernimmt mit Blick auf den Zielpunkt ‚Dorf‘ die Funktion eines (letztendlich unendlichen) Aufschubs. Wandel schläft ein und setzt – ohne dass der Ebenen-Wechsel von vornherein explizit gemacht würde – die Wanderung in drei unterschiedlichen, teils wiederum gerahmt erzählten Schlafphasen fort. Im Überblick:

  • Traumphase metadiegetische Ebene 1.1: Weg der Erinnerungen (T 1, 62–65) / Traumphase Ebene 1.2: Weg durch ein ‚romantisches Gebirge‘: erste Begegnung mit dem Freund (ebd., 70);
  • Traumphase meta-metadiegetische Ebene 2.1: die Begegnung mit den Frauen im Palast: Stillung der Sehnsucht (ebd., 65–68) / Traumphase Ebene 2.2: erneutes Anfachen der Sehnsucht (ebd., 69f.);
  • Traumphase meta-meta-metadiegetische Ebene 3: Traum im Traum im Traum (ebd., 68f.)

In dieser realpräsent-authentisch anmutenden, letztendlich aber imaginär-phantasmatischen Traumwelt begegnet Wandel allerhand Merkwürdiges: Er „verwickelt“ sich „in einem Labyrinthe“ aus Erinnerungen und Tönen, „das Seltsamste gesellte sich zum Gewöhnlichsten“ (T 1, 63 – metadiegetische Ebene 1.1). Scheinbar erwachend erkennt er sein Versäumnis mit Blick auf den kranken Freund („dessen ich mich kaum noch dunkel erinnere“, ebd., 69, ein „Hahnengeschrei“, ebd., markiert diesen Verrat an der Freundschaft – metametadiegetische Ebene 2.2). Letztendlich aber hat Ludwig Zweck und Ziel seiner Wanderung in den Traumsequenzen der Ebene C gründlich „vergessen“ (ebd., 63). Insbesondere gilt dies für sein eigentliches Ziel, das Dorf. Der Weg wird länger und länger, je kräftiger er ausschreitet, desto ‚weiter‘ scheint er sich „von dem Ziele“ zu ‚entfernen‘, das er doch eigentlich „vor der Nacht hatte erreichen wollen“ (ebd., 64, metadiegetische Ebene 1.1). Die Umwege, die er nimmt, erhöhen keinesfalls die Ortskenntnisse in Sachen Dorf; vielmehr öffnen sie immer neue Traumebenen bis hin in einen Gegenpol zum Dorf: einen prächtigen „Palast“ (ebd., 65).

In dieser antidörflichen Umgebung schlechthin wird der Zustand des aus dem Drang zu etwas Unerreichbarem sich speisenden Strebens schließlich aufgehoben: „[A]lle Sehnsucht war gestillt“, Ludwig ist nicht nur glücklich, sondern „überglückselig“ (ebd., meta-metadiegetische Ebene 2.1). Ein weiterer „Traum im Traume“ (ebd., 68, meta-meta-metadiegetische Ebene 3) katapultiert Wandel dann kurzzeitig in einen Zustand des Anti-Glücks, aus dem heraus sich – im Traum aus dem ‚Traum im Traum‘ erwachend – erneut eine „unbeschreibliche Sehnsucht“, mithin ein urromantischer Zustand einstellt (ebd., 69, meta-metadiegetische Ebene 2.2). Schließlich findet nicht er den Freund, sondern dieser ihn – und zwar zweifach: zunächst im Traum (ebd., 70f., metadiegetische Ebene 1.2), schließlich ‚real‘; der Text kehrt in die Rahmenhandlung der Ebene B zurück.

Der inzwischen wieder Gesundete hatte sich nämlich seinerseits auf den Weg gemacht und sein Dorf verlassen. Er weckt den Schlafenden, der sich unter einem Baum zur (vermeintlich kurzen) Rast niedergelassen, sich dann aber in einer gänzlich anderen als der fingiert-realen Welt verloren hatte. [32] Nur hier, im fiktional-realen Rahmen der Erzählung, auf dem Boden der Tatsachen aus Aufbruch, Weg und Dorf als klar definiertem Ziel, ist Freundschaft mehr als eine Illusion oder, wie es in der Traum-Phase auf metadiegetischer Ebene 1.2 heißt, mehr als ein bloßer ‚Aberglaube‘ (ebd., 71) – auch wenn die Traumebene insofern in die Realitätsebene der Fiktion hineinragt, als Ludwig dort bereits von der Gesundung des Freundes erfahren hatte (ebd., 70f.). In dieser Traumbegegnung allerdings war der ehemals kranke, zwischenzeitlich gesundete Freund ein Fremder geblieben. [33]

‚Das Dorf‘ erfüllt in diesem Zusammenhang unterschiedliche Funktionen, wie ich meine: Auf seinem Weg begegnet Wandel ‚dem Dorf‘ als dem eigentlichen Ziel sowohl seiner Wanderung als auch seiner Sehnsucht (hier: nach dem Freund) in Gestalt eines „Zug[s] geputzter Bäuerinnen aus dem Dorfe“, zu denen sich sogleich ein Gespräch entspinnt (intradiegetische Erzählebene B). ‚Das Dorf‘ stellt sich über seine Bewohner so als Ort höherer Begegnungs- und Kommunikationswahrscheinlichkeit aus. Deren Feierfreude – die Frauen haben sich zu einer Hochzeit aufgemacht – kann Wandel aber nur Trübsinn entgegensetzen (ebd., 61). Wie die Erzählung in ihrem weiteren Verlauf entfalten wird, kommt Wandel dem dörflichen Raum nie näher als an dieser Stelle. Die Funktion des Dorfs, Begegnungen auf kleinem Raum zu ermöglichen und Kommunikation zu erleichtern, wird schon dadurch wieder subvertiert. Einerseits gilt es selbst schon als Freundschaftserweis, sich ins Dorf aufzumachen, weil dieser Akt mit Mühen verbunden, konkret gesagt: so ermüdend ist, dass man darüber auch schon einmal einschlafen kann. Das Setting gewinnt so an Plausibilität. Andererseits garantiert gerade die relative Nähe des avisierten Endpunkts der Wanderung („einige Meilen entfernt“, ebd., 61) die Erreichbarkeit des Orts zu Fuß. Innerhalb eines städtischen Raums würde ein solcher Gang schwerlich einen vergleichbaren Effekt haben. Vielmehr benötigt der Text für die Öffnung meta(-meta-meta) diegetischer Ebenen die Traversierung ländlicher Räume. Die Konfrontation mit der vom Dorf ausgehenden Heiterkeit, die aus dem ländlichen Rhythmus von Arbeitszeiten- und Feiertagen herrührt und schon deshalb als spezifisch dörflich zu bezeichnen ist, [34] erzeugt jenen Kontrast, vermittels derer die melancholische Stimmungslage und Müdigkeit des Protagonisten allererst profiliert wird.

Als Ort mit höherer Begegnungs- und Kommunikationswahrscheinlichkeit wird ‚das Dorf‘ im Text sowohl angesteuert und damit bestätigt als auch im Vollzug konsequent unterlaufen. Darüber hinaus bietet das distinkt benannte Lokal ‚Dorf‘ jenen geographisch plausiblen Zielpunkt der Wanderung, den der unbestimmt gelassene ländliche Raum selbst nicht liefern kann. Weil Wandel genau weiß, wo auf dem Land der Freund sich aufhält, kann er sich überhaupt mit berechtigten Hoffnungen auf den Weg machen, ihn zu finden. Dass als solcher Zielpunkt nicht ‚ein Schloss‘, ‚ein Kloster‘, ‚ein Gutshof‘ (die im Übrigen selbst wieder Teil eines dörflichen Raums wären), sondern ‚ein Dorf‘ gewählt wird, gehört zu den Entscheidungen des Textes, die ernst zu nehmen sind. Für zufällig halte ich sie nicht. Mit Blick auf das im Text verhandelte Thema ‚Freundschaft‘ steht ‚Dorf‘ darüber hinaus – so eine vorläufige Überlegung – für die spezifische Qualität eines Begriffs von Freundschaft, die sich nur zweiseitig realisieren lässt, für die Leerstelle also, die ein bloß einseitiger Impuls notwendig hinterlässt. Die Begegnung findet konsequenterweise schließlich nicht auf dem Dorf, dem avisierten Endpunkt der Wanderung, sondern im (ländlichen) Zwischenraum zwischen Ausgangs- und Zielpunkt der Wanderung statt. Dass das Dorf schließlich doch noch erreicht werden wird, stellt der Text, wie bereits zitiert, immerhin in Aussicht, wenn er dies dann aber selbst nicht mehr zeigt. [35]

Wie diese ersten, an zwei frühen Texten Tiecks gewonnenen Ergebnisse zeigen‚ wird ‚das Dorf‘ zu einem Schlüssel sowohl für die Deutung der Texte im Ganzen als auch für frühe Ansätze einer Romantisierung der Welt (Peter Lebrecht), die aufklärerisch-teleologischen Vorstellungen erste Widerstände entgegensetzt (Die Freunde). Dass es in der Forschung bislang ausgespart wurde, ist deshalb umso bemerkenswerter.

 

Anmerkungen

[1] Vgl. dazu Alex Rühle: „Viel Holz“, Süddeutsche Zeitung Nr. 165, 20. Juli 2018, S. 11.

[2] Marianne Thalmann: Romantiker entdecken die Stadt, München 1965, S. 8; zum Komplex Romantik und Stadt vgl. außerdem Sandra Kerschbaumer/Gisela Mettele (Hgg.): Romantische Urbanität. Transdisziplinäre Perspektiven vom 19. bis zum 21. Jahrhundert, Wien [u. a.] 2020.

[3] Zusammen mit meinem am 27. April 2022 in Jena gehaltenen Vortrag Romantische Dorfgeschichte – Fehlanzeige oder übersehenes Genre romantischen Erzählens? Zu Brentanos ‚Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl‘, www.gestern-romantik-heute.uni-jena.de/termine/veranstaltung/default-3d8b4dde6f, abgerufen am 05.07.2022.

[4] Ludwig Tieck: „Frühe Erzählungen und Romane“, in: Ludwig Tieck. Werke in vier Bänden, nach dem Text der Schriften von 1828–1854, unter Berücksichtigung der Erstdrucke, mit Nachworten und Anmerkungen von Marianne Thalmann, Bd. 1, hg. von Marianne Thalmann, München 1963, S. 61. – Diese Ausgabe wird im Folgenden zitiert unter Verwendung der Sigle T 1 und nachfolgender Seitenzahl.

[5] Vgl. Albert Meier: „Poetik der Berliner Spätaufklärung“, in: Ludwig Tieck. Leben – Werk – Wirkung, hg. von Claudia Stockinger/Stefan Scherer, Berlin [u. a] 2011, S. 23–35, v. a. S. 27, 30; vgl. auch Detlef Kremer: „Frühes Erzählen (Auftragsarbeiten, Kunstmärchen)“, in: ebd., S. 496–514, v. a. S. 498f. (mit besonderem Augenmerk z. B. auf die Sterne-Allusionen in Tiecks Peter Lebrecht).

[6] Vgl. Annette Antoine: „Der Nachwuchsautor Tieck in Nicolais Verlag“, in: Dies.: Literarische Unternehmungen der Spätaufklärung. Der Verleger Friedrich Nicolai, die ‚Straußfedern‘ und ihre Autoren, Würzburg 2001, S. 186–235; sowie Philipp Böttcher: „Tieck und seine Verleger“, in: Ludwig Tieck. Leben – Werk – Wirkung, hg. von Claudia Stockinger/Stefan Scherer, Berlin [u. a] 201, S. 148–164, v. a. S. 151f.

[7] Im Überblick vgl. Claudia Stockinger: „Pathognomisches Erzählen im Kontext der Erfahrungsseelenkunde. Tiecks Beiträge zu Nicolais Straußfedern“, in: Die Prosa Ludwig Tiecks, hg. von Detlef Kremer, Bielefeld 2005, S. 11–34, v. a. S. 11f.

[8] Antoine: Der Nachwuchsautor Tieck, S. 205.

[9] „Die Straußfedern wandelten sich von einem Organ der Aufklärung in ein Medium der kritischen Auseinandersetzung mit ihr, mehr noch, ihrer poetischen Überwindung“ (Jürgen Joachimsthaler: „Zur Einführung“, in: Ludwig Tieck: Straussfedern I. Kritische Edition nach dem Abdruck in den Schriften [1828–1854], hg. und mit einer Einführung versehen von Jürgen Joachimsthaler, Berlin 2014, S. 145–193, hier S. 183).

[10] Antoine: Der Nachwuchsautor Tieck, S. 208f.

[11] Die Verbindung von der zeitgenössischen Erfahrungsseelenkunde zu den „in nuce romantische[n] Grundbegriffe[n]“, die sich an den im Text „miteinander verwobenen Sujets“ „Kindheit – Märchen und Dichtung – Natur – Traum“ identifizieren lassen (Antoine: Der Nachwuchsautor Tieck, S. 209), bleibt eine argumentative Lücke der Darstellung.

[12] Vgl. den ausführlichen wie anschaulichen Bericht bei Köpke, der die Kehrseite der ironischen Distanzierung in Peter Lebrecht darstellt. Tieck selbst wird hier zu jenem Publikum, von dem er sich in der Erzählung absetzt (Rudolf Köpke: Ludwig Tieck. Erinnerungen aus dem Leben des Dichters nach dessen mündlichen und schriftlichen Mittheilungen. Erster Theil, Leipzig 1855, S. 141f.).

[13] U. a. mit seiner eigenen zwölfbändigen Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781 (Berlin-Stettin 1783–1796).

[14] Stefanie Stockhorst: „Einleitung. Friedrich Nicolai und die ‚Freiheit […] von seiner Vernunft in allen Stükken öffentlichen Gebrauch zu machen‘“, in: Dies.: Friedrich Nicolai im Kontext der kritischen Kultur der Aufklärung, Göttingen 2013, S. 9–19, hier S. 14.

[15] Die beiden Textstücke in Form von Leser*innen-Anreden fehlen in der Werkausgabe von Marianne Thalmann und werden deshalb hier nach dem Erstdruck zitiert: Friedrich Nicolai: Straußfedern. Siebender Band, Berlin [u. a.] 1797, S. [207] / S. 231 (Die Erzählung Die Freunde beginnt ohne Titel auf S. 208, und auf S. 231 meldet sich der „Verfasser“ [‚Autor‘ / ‚Erzähler‘] nochmals zu Wort und schließt sowohl die Erzählung als auch den siebten Band der Straußfedern-Sammlung ab). – Im Folgenden zitiert unter Verwendung der Sigle ‚S‘ und nachfolgender Seitenzahl.

[16] Vgl. Ludwig Tieck: „Über Shakspeare‘s Behandlung des Wunderbaren“, in: Ludwig Tieck. Schriften in zwölf Bänden. Bd. 1, hg. von Achim Hölter, Frankfurt am Main 1991, S. 685–722.

[17] „In allen diesen Fiktionen ist kein rechter Zusammenhang, sie kommen und verschwinden, die Fülle der Bilder überströmt uns, und dann ist alles wieder vorübergeflattert“ (S. [207]).

[18] „Der Dichter hat in seinem Werke Charaktere und Begebenheiten unter einander zu ordnen und zu verknüpfen. Diese müssen nun, nach den obigen Voraussetzungen, so unter einander verbunden seyn, daß sie gegenseitig Ursach und Wirkung sind, woraus ein Ganzes entsteht, in dem alle einzelne Theile unter sich, und mit diesem Ganzen in Verbindung stehen, so daß das Ende, das Resultat des Werks eine nothwendige Wirkung alles des vorhergehenden ist“ (Friedrich von Blanckenburg: Versuch über den Roman. Faksimiledruck der Originalausgabe von 1774, mit einem Nachwort von Eberhard Lämmert, Stuttgart 1965, S. 313f.).

[19] Siehe z. B. Friedrich Schlegel: „Brief über den Roman“, in: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. 2, hg. von Hans Eichner, München [u.a.] 1967, S. 329–338.

[20] Der geheilte Freund kommt Ludwig entgegen und findet ihn schlafend unter einem Baum: „‚Besuchst du so deine kranken Freunde? Komm mit mir, mein Wagen hält dort und es zieht ein Gewitter herauf‘.“ (T 1, 71)

[21] „[D]ie Poesie der Alten war die des Besitzes, die unsrige ist die der Sehnsucht; jene steht fest auf dem Boden der Gegenwart, diese wiegt sich zwischen Erinnerung und Ahnung“ (August Wilhelm Schlegel: „Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur“, in: August Wilhelm Schlegel. Kritische Schriften und Briefe, Bd. 5, Erster Teil, hg. von Edgar Lohner, Stuttgart [u. a.] 1966, S. 25). Die „Macht des Abwesenden“ (Paul Valéry: „Die Macht des Abwesenden“, in: Ders.: Cahiers/Hefte, Bd. 6, hg. und übersetzte von Hartmut Köhler/Jürgen Schmidt-Radefeldt/Bernhard Böschenstein, Frankfurt am Main 1993, S. 57) wird so zum Motor der Wanderungsbewegung.

[22] Vgl. Gerhard Plumpe/Niels Werber: „Literatur ist codierbar. Aspekte einer system-theoretischen Literaturwissenschaft“, in: Literaturwissenschaft und Systemtheorie. Positionen, Perspektiven, Kontroversen, hg. von Siegfried J. Schmidt, Opladen 1993, S. 9–43, hier S. 30ff.

[23] „Riesen, Zwerge, Gespenster, Hexen, etwas Mord und Totschlag, Mondschein und Sonnenuntergang, dies mit Liebe und Empfindsamkeit versüßlicht, um es glatter hinterzubringen, sind ungefähr die Ingredienzien, aus denen das ganze Heer der neusten Erzählungen, vom Petermännchen bis zur Burg Otranto, vom Genius bis zum Hechelkrämer, besteht. Der Marquis von Grosse hat dem Geschmack aller Lesegesellschaften eine andere Richtung gegeben, aber sie haben sich zugleich an seinem spanischen Winde den Magen verdorben; mit Herrn Spieß hat man sich gewöhnt, überall und nirgends zu sein; und keine Erzählung darf jetzt mehr Anspruch machen, gelesen zu werden, wenn der Leser nicht vorhersieht, daß ihm wenigstens die Haare dabei bergan stehen werden“ (T 1, 75f.).

[24] Dass dies nicht notwendig stimmt, man dem Erzähler also nicht in jeder Hinsicht trauen kann, wird im weiteren Verlauf deutlich, vgl. z. B. T 1, 83 („[…] rief ich in meinem Enthusiasmus aus“).

[25] Vgl. dazu z. B. Rudolf Behrens: „Räumliche Dimensionen imaginativer Subjektkonstitution um 1800 (Rousseau, Senancour, Chateaubriand)“, in: Räume der Romantik, hg. von Inka Mülder-Bach/Gerhard Neumann, Würzburg 2007, S. 28–63, hier S. 28.

[26] Vgl. dazu z. B. Jan Gerstner: „Landleben. Zu einem Raum aufklärerischer Glückskonzepte“, in: Theoretische und fiktionale Glückskonzepte im deutschen Sprachraum (17. bis 21. Jahrhundert), hg. von Sylvie Le Moël/Elisabeth Rothmund, Berlin 2019, S. 43–61.

[27] Der Bauer versteht sich hier als Bürger; für die Dorfgeschichten der 1840er Jahre wird diese Position konstitutiv, vgl. z. B. die Aushandlungen zwischen den Bauern und der Obrigkeit in Berthold Auerbachs Befehlerles (1842).

[28] In den Dorfgeschichten der 1840er Jahre, z. B. in Carl A. Schloenbachs Die Hasenschlinge (1848), wird daraus ein politisch-poetisches Programm.

[29] „Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnißvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe so romantisire ich es [...]“ (Novalis: „Vorarbeiten zu verschiedenen Fragmentsammlungen 1798, Logologische Fragmente, Nr. 105“, in: Novalis. Werke, Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs, Bd. 2, hg. von Hans-Joachim Mähl, München 1978, S. 334).

[30] Antoine (Der Nachwuchsautor Tieck, S. 208) spricht bezeichnenderweise davon, die Hauptfigur namens Ludwig Wandel suche „nach einem Heilmittel für seinen kranken Freund […] in der frühlingshaften Natur“ – wovon der Text allerdings selbst nichts weiß.

[31] Zu den Erzählebenen vgl. meine Ausführungen in Abschnitt (II.b).

[32] Vgl. T 1, 71f.; ebd., 71: „Indem schlug er die Augen auf, weil ihn jemand heftig rüttelte“.

[33] Vgl. T 1, 70.

[34] „Indem kam ein Zug geputzter Bäuerinnen aus dem Dorfe; alle grüßten ihn freundlich und erzählten ihm, wie sie mit munterm Sinne nach einer Hochzeit wallfahrteten, wie die Arbeit für heute ruhen und dem Feste Platz machen müsse“ (T 1, 61).

[35] Vgl. Anmerkung 20.

 

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John Constable, „Osmington Village“, 1816/17, Öl auf Lwd., Yale Center for British Art.