Katharina Klanke , 27.07.2022

„GegenRomantik“

Internationale Tagung des DFG-Graduiertenkollegs „Modell Romantik“ (Jena, 06.–08.07.2022)

Vom 6. bis 8. Juli 2022 fand an der Friedrich-Schiller-Universität Jena die Tagung GegenRomantik statt. In insgesamt 13 Beiträgen und einer Lesung diskutierten Teilnehmende aus den Bereichen Literaturwissenschaft, Kunst- und Wissenschaftsgeschichte, Soziologie, Literaturkritik und Journalismus über Romantikkritik und das Verhältnis der Romantik zu Gegenmodellen. Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich dabei von 1800 bis zur Gegenwart und behandelte verschiedene gesellschaftliche Bereiche. Ausgerichtet wurde die interdisziplinäre Tagung von dem Jenaer DFG-Graduiertenkolleg „Modell Romantik“.

Den Auftakt und die Begrüßung übernahm dabei Sandra Kerschbaumer (Jena) mit einer Einführung sowie einer kurzen Vorstellung des Graduiertenkollegs, das seinen Auftrag darin sieht, die für das Fortwirken der Romantik maßgeblichen Prozesse zu klären. Zu diesem Zweck wurde der Modellbegriff produktiv gemacht und dabei davon ausgegangen, dass die historische Romantik durch Modellbildungs- und Modellanwendungsprozesse über ihre Initiierungsphase fortwirke. Komplementär zur bisherigen Arbeit des Kollegs sollten mit der Tagung diejenigen Positionen in den Blick genommen werden, die romantische Antworten auf die mit den Umbrüchen des 18. Jahrhunderts virulent gewordenen Probleme bezweifelten, belächelten, sie abwiesen oder vor ihnen warnten. Dieser kritische Blick auf die Romantik, Argumentationen und Positionen sollte in den vielfältigen Beiträgen untersucht werden. Dabei stellte sich unter anderem die Frage, welche Aspekte romantischen Denkens, Wahrnehmens und Urteilens von welcher Position aus infrage gestellt werden.

Stefan Matuschek (Jena) eröffnete die erste Sektion mit seinem Beitrag „Der Romantik-Popanz. Ein Wiedergänger“. Dabei wandte er sich gegen die Vorstellung eines romantisch-deutschen Irrationalismus und erläuterte die Funktion eines Romantikklischees, welches als Surrogat für den Wunsch nach einer tiefgreifenden kulturgeschichtlichen Erklärung für all das, was rational nicht nachvollziehbar sei, diene. Die Entstehung der Romantik als Popanz ging auf erste Erklärungsversuche für die Zeit des Nationalsozialismus zurück, dieses Schreckensbild habe jedoch, so Matuschek, wenig mit der Romantik selbst zu tun. Peter Viereck (auf den später Thomas Mann in seinem „Doktor Faustus“ zurückgriff) leitete als erster die Zeit des Nationalsozialismus völkerpsychologisch aus der Romantik ab. Matuschek untersuchte neuere Romantikpolemik (etwa im antiromantischen Manifest Marie Rotkopfs), der er eine zu kurze oder einseitige Beschäftigung mit der Romantik unterstellte. Daran anschließend beschäftigte sich Nicolai Busch (Köln) in seinem Beitrag mit Modellierungen des ‚(Anti-)Romantischen‘ bei Simon Strauß, der Zeitschrift Das Wetter und Götz Kubitschek. Er rekonstruierte die romantische Kippfigur im Roman bei Simon Strauß zwischen Einheitssehnsucht und Einsicht in die Partikularisierung der modernen Welt. Zudem unterzog er die Debatte über diesen Roman einer Analyse anhand von Feuilleton-Beiträgen. Beate Tröger (Frankfurt am Main) widmete sich exemplarisch Maren Kames’ Gedichtband „Luna Luna“. Sie bescheinigte den Arbeiten von Kames immer wieder romantisierende Elemente und Motive, dabei jedoch ein Ich, das – anders als in der Romantik – nicht mehr kohärent zu denken sei. Durch verschiedene Verfahren (etwa das Durchkreuzen von Wissenschafts- und poetischer Sprache oder die Beigabe verschiedener Medien) aktualisiere Kames romantische Strategien und sorge für eine innovative Wendung der Tradition der Romantik.

Matthias Löwe und Tilman Reitz (Jena) eröffneten die erste Sektion des zweiten Tages, Löwe zunächst mit einem Vortrag über „Romantik als Liberalismuskritik“, in dem er die These vertrat, dass es für die historische Romantik ein komplexes Spannungsverhältnis eines „liberalen Antiliberalismus“ gegeben habe, welches im Verlauf des 19. Jahrhunderts meist vereinfacht aufgelöst worden sei. Reitz fragte anschließend nach dem Spektrum politischer Optionen der Romantik, antiromantischem Liberalismus bei Isaiah Berlin und antiliberaler Antiromantik bei Carl Schmitt. Kristina Mateescu (Heidelberg) schaute sich die romantische und gegenromantische Weltanschauung bei Alfred von Martin im Kontext der NS-Kritik an. Dabei skizzierte sie Alfred von Martin als Schüler von Karl Mannheim und Max Weber und betrachtete die Debatte um die Romantik in der Kulturzeitschrift Hochland sowie von Martins Auseinandersetzung mit Carl Schmitt und der katholischen Romantik-Rezeption, ehe sie sich einer Studie von Nietzsche und Burckhardt (in einer Doppelbiographie) zuwandte. Darauf folgte der Beitrag von Christoph Henning (Erfurt), der sich ökologischer Kapitalismuskritik zwischen Romantik und Gegenromantik widmete. Zentral dabei war die Betrachtung der Romantik nicht als Literatur (wenngleich von ihr ausgehend), sondern vielmehr als Weltanschauung und die Frage danach, wann ökologische Kritik eigentlich romantisch sei. Staffan Müller-Wille (Cambridge) sprach über Konfliktlinien in der Naturgeschichte um 1800 und widmete sich dem Thema der „GegenRomantik“ aus wissenschaftshistorischer Perspektive. Die Romantik war bei dieser Betrachtung eine Epoche des Umbruchs in den Naturwissenschaften mit dem Ziel einer umfangreichen Katalogisierung in der Hoffnung, so Gesetzmäßigkeiten erkennen zu können. Dabei konzentrierte Müller-Wille sich vornehmlich auf Alexander von Humboldt und Carol Sigismund Kunth. Christian Schwägerl (Berlin) hielt einen Vortrag zum Anthropozän zwischen wissenschaftlicher Diagnose und inniger Weltbeziehung, wobei er die Frage danach stellte, ob das Anthropozän eine Art Gegenromantik darstelle. Schwägerl beschrieb das Anthropozän als Entwicklung von einer Diagnose hin zu einer Epochenformel, mit der die Frage, was Natur ist, einherging. Dabei bezog er sich auf Paul Crutzens Anthropozäntheorie, die eine Stimmung existenzieller Bedrohung schaffe. Darauf folgte am Abend eine öffentliche Lesung von Maren Kames (Berlin) mit anschließendem Lyrikgespräch, moderiert von Andrin Albrecht und Tabea Lamberti (Jena).

Am dritten Tag ging es um die Frage nach dem Verhältnis von Romantik und Realismus in der Kunst und Literatur. Einführende Worte kamen dabei von Dirk von Petersdorff (Jena), der die Frage stellte, ob Romantik und Realismus grundlegende Unterschiede aufweisen oder ob nicht eher eine Form der Verwandtschaft vorliege. Den ersten Vortrag der Sektion hielt anschließend Felix Schallenberg (Jena), der sich mit literarhistorischen Korrekturen bei Theodor Storm und der Frage danach, ob Romantik und Realismus einander komplementär gegenüberstehen, auseinandersetzte. Dafür widmete er sich unter anderem der Romantikkritik im Realismus, hob jedoch hervor, dass eine klare Gegenüberstellung nicht so einfach sei und dass stattdessen eher von punktuellen Überschneidungen die Rede sein könne. Stefan Tetzlaff (Göttingen) beschäftigte sich, daran anschließend und Gedanken von Schallenberg aufnehmend, mit dem Realismus nicht als Gegenromantik, sondern als Auseinandersetzung mit ihr, mit Kontinuitäten und Distinktion. Dabei bezog er sich unter anderem auf Roman Jakobsons Zwei-Achsen-Modell und der Frage nach Wechselwirkungen zwischen Zeichen und Wirklichkeit. Ségolène Le Men (Paris Nanterre) ging ebenfalls auf das Verhältnis von Romantik und Realismus ein, jedoch aus kunsthistorischer Sicht und hierbei mit Fokus auf Gustave Courbet. Sie skizzierte die Auseinandersetzung mit der Romantik an seinem Werk und seine Phase der Transformation, in der er eigene Gemälde übermalte, die später durch Zufall wiederentdeckt wurden. Michael Zimmermann (Eichstätt) widmete sich in seinem Beitrag Charles Baudelaire, Gustave Courbet und Édouard Manet unter dem Titel „Freundschaftliche Missverständnisse und der lange Schatten der Romantik“. Dabei vertrat er die These, dass Baudelaire als Kunstkritiker stärker als Romantiker zu verorten sei, im Gegensatz zu seinen Arbeiten als Dichter. Außerdem sprach er über Aneignungs- und Abstoßungsprozesse (so bleibt etwa die entschieden subjektive Perspektive der Romantik verpflichtet (auch wenn diese z.B. bei Manet distanziert beobachtet wird)).

Begleitend zur Tagung fand vom 3. bis 10. Juli 2022 die ebenfalls interdisziplinär angelegte Summer School „Von Hoffmann bis Tocotronic – Romantik aktuell“ statt, bei der nicht nur die gemeinsame Lektüre und Diskussion von Texten im Vordergrund stand, sondern auch die Beschäftigung mit Rezeptionsphänomenen in Literatur, Film und Musik. Die Teilnehmer:innen kamen dabei aus Deutschland, der Schweiz und Indien. In mehreren Sitzungen beschäftigten diese sich unter anderem mit den Werken von E. T. A. Hoffmann oder Christa Wolf bis hin zu zeitgenössischen Texten von Tocotronic, die ebenfalls romantische Merkmale aufweisen. Zudem gab es eine Literaturwanderung durch Jena und einen Filmabend mit dem Film „Endzeit“ (2018) mit anschließender Diskussionsrunde mit der Drehbuchautorin Olivia Vieweg (Jena) (die zuvor auch den gleichnamigen Comic gezeichnet und geschrieben hatte) und der Amerikanistin Caroline Rosenthal (Jena).

Sandra Kerschbaumer eröffnete die Tagung.

Maren Kames las aus ihrem Band „Luna, luna“ und beantwortete im anschließenden Lyrikgespräch die Fragen von Tabea Lamberti und Andrin Albrecht.

In den Pausen hatten die Teilnehmer:innen die Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen und den Blick auf Jena, den das Normannenhaus bietet, zu genießen.