Joanna Raisbeck , 06.10.2021

„Klaus-Heyne-Preis zur Erforschung der Deutschen Romantik“ für Joanna Raisbeck

Dissertation „Poetic Metaphysics in Karoline von Günderrode“

Am 6. Oktober wurde an der Goethe-Universität in Frankfurt erstmals der mit insgesamt 15.000 Euro dotierte „Klaus Heyne-Preis zur Erforschung der Deutschen Romantik“ verliehen. Stifter des neuen Wissenschaftspreises ist der Kinderarzt und Romantikfreund Prof. Dr. Klaus Heyne (1937–2017), dessen Leben in den verschiedenen politischen Systemen Deutschlands, dessen Freiheitsemphase und Leidenschaft insbesondere für die romantische Malerei und Zeichnung vom Frankfurter Kunsthändler Aurelio Fichter während der Festveranstaltung eindrucksvoll nachgezeichnet wurde.

Den Preis und damit auch die Möglichkeit, 2022 eine internationale Tagung an der Goethe-Universität auszurichten, erhielt die an der Universität in Oxford lehrende Literaturwissenschaftlerin Joanna Raisbeck für ihre Dissertationsschrift Poetic Metaphysics in Karoline von Günderrode. Mit ihrer Studie, die 2022 bei Legenda (Modern Humanities Research Association, Cambridge) erscheinen wird, leistet Raisbeck einen wichtigen Beitrag zur Romantikforschung, indem sie – problemgeschichtlich orientiert – das Werk Günderrodes (1780–1806) als Auseinandersetzung mit den philosophischen Strömungen ihrer Zeit versteht. In einem Podiumsgespräch mit Frederike Middelhoff, Frankfurter Professorin für Neuere Deutsche Literatur mit dem Schwerpunkt Romantikforschung, stellte Joanna Raisbeck dem Publikum ihre Arbeit vor.

Hier bietet die Preisträgerin mit drei Antworten auf drei Fragen eine weitere Gelegenheit, etwas über ihre Arbeit zu erfahren:

1.Was verbinden Sie ganz allgemein mit ‚Romantik‘?

Im englischsprachigen Raum muss ich da sofort an die Landschaften und Seestücke J.M.W. Turners sowie die Lyrik Coleridges und Wordworths denken. Mich fasziniert immer noch die Darstellungsproblematik in der deutschen Romantik, ob – mit Novalis zu sprechen – eine Annäherung an das Unbedingte bzw. das Transzendente innerhalb der Grenzen der Literatur überhaupt möglich ist. Ich habe mich in meiner wissenschaftlichen Karriere vor allem mit der Frühromantik auseinandergesetzt. Das Fragmenthafte der Sympoesie und Symphilosophie des Athenaeums bezieht die eigene Rezeption mit ein: Da muss der Leser selber weiterdenken, um die von den Fragmenten aufgerufenen Gedankengänge zu Ende zu bringen. Außerdem ist die Tendenz zur ironischen Selbstreflexivität in der Romantik für mich besonders interessant, wie bei E.T.A. Hoffmanns zweitem Roman, Lebensansichten des Kater Murr, oder, noch früher, in Ludwig Tiecks Der gestiefelte Kater.

2.Womit genau haben Sie sich in Ihrer Preisschrift beschäftigt? Wie haben Sie sich mit dem Phänomen ‚Romantik‘ auseinandergesetzt?

Mein Anliegen in der Doktorarbeit war, einen Leitfaden im Werk von Karoline von Günderrode zu entdecken, der zu einer umfassenden Interpretation eines recht heterogenen – dafür aber schmalen – Korpus führen sollte. Dabei wollte ich mich von einer ausgeprägt biographistischen Lesart in der Rezeptionsgeschichte Günderrodes distanzieren. In Bezug auf die Romantik im Allgemeinen habe ich verschiedene Aspekte der Frühromantik (Kunstreligion, religiöse Erneuerung, das Konzept des goldenen Zeitalters) behandelt, die ebenfalls von Günderrode aufgearbeitet werden.

Besonders auffällig bei Günderrode sind die zahlreichen Hindeutungen auf den Spinozismus Herderscher Prägung, also auf eine metaphysische Kraftontologie. Zwar diente Spinoza den Jenaer Romantikern als ideales Genie-Vorbild – man denke an das berühmte Zitat von Novalis, Spinoza sei ein „gotttrunkener Mensch“ – aber bei keinem anderen Dichter bzw. keiner anderen Dichterin um 1800 und in der Romantik ist eine derart konsequente Auseinandersetzung mit den Folgen des Spinozastreits wie bei Günderrode zu beobachten. Fragen zu menschlicher Handlungsfähigkeit, wie Vorstellungen von Freiheit und Determinismus miteinander in Verbindung gebracht werden können, werden immer wieder behandelt in ihren Dramen, Prosatexten, und in ihrer Lyrik.

Besonders spannend ist in dieser Hinsicht das Mahomed-Drama, in dem Spuren eines einzigartigen religiösen und philosophischen Synkretismus zu erkennen sind. Bei Günderrode umfasst dieser die längst institutionalisierten Religionen (Christentum, Judaismus, Islam, Hinduismus) neben Glaubens- und Wissenstraditionen wie der Kabbala, der hermetischen Esoterik sowie den im 18. Jahrhundert besonders beliebten ägyptischen Mysterien. In Günderrodes Vorstellungen vom Islam ist der reine Kern der universellen Religion enthalten, eine Art von philosophia perennis, also eine immerwährende Philosophie, die ewige Wahrheiten ausdrückt. Der Islam gilt ihr als der letzte der drei Monotheismen und dessen Vollendung zugleich, als eine Erscheinung der einzigen ursprünglichen Offenbarung, die sämtliche religiösen und spirituellen Traditionen prägt. Somit fungiert das Mahomed-Drama als eine heterodoxe apologia für die positive, geoffenbarte Religion und stellt die Legitimationsgeschichte des (wahren) Propheten Mahomed dar. Zwar gibt es in der Frühromantik bekanntlich Versuche, die Religion neu zu denken – siehe z. B. das Bibel-Projekt von Schlegel und Novalis – aber auch Günderrode trägt maßgeblich zum romantischen Projekt der religiösen Erneuerung bei.

3. Haben Sie bereits ein neues Romantik-Projekt?

Nach jahrelanger Beschäftigung mit Karoline von Günderrode und anderen Frühromantiker:innen, deren Dichtungen zu philosophischen Abstraktionen tendieren, möchte ich mich vor allem zurück zur materiellen Seite der Romantik wenden. Das bedeutet, dass ich wohl nächsten Sommer wieder ins Archiv muss – als Vorbereitung auf eine dreitägige Tagung zum Thema „Romantischer Materialitäten“ nächsten September an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Auch arbeite ich momentan an einem Artikel über die Novalis-Rezeption in den Flugblättern der Weißen Rose.

Karoline von Günderrode (1780-1806)