Nicolas von Passavant , 01.01.2020

„Novalis-Preis“ 2020 für Nicolas von Passavant

Dissertation „Nachromantische Exzentrik. Die literarische Konfiguration des Gewöhnlichen“

Für seine Dissertation Nachromantische Exzentrik. Die literarische Konfiguration des Gewöhnlichen (Wallstein-Verlag, 2019) erhält der Germanist Nicolas von Passavant den wichtigsten Wissenschaftspreis für Romantikforschung – den „Novalis-Preis“. Alle 2 Jahre wird der Preis international und fächerübergreifend ausgelobt für Dissertationen und Habilitationen, die sich mit dem Phänomen der europäischen Romantik auseinandersetzen. Vergeben wird der mit 2500 Euro dotierte „Novalis-Preis“ von der „Internationalen Novalis-Gesellschaft“ mit der „Forschungsstätte für Frühromantik“ (Schloss Oberwiederstedt) und der „Forschungsstelle Europäische Romantik“ (Friedrich-Schiller-Universität Jena).

Das wissenschaftliche Kolloquium und die Festveranstaltung, die zur Verleihung des „Novalis-Preises“ im Mai 2020 in Jena stattfinden sollten, mussten abgesagt werden. Auf die Gelegenheit, den Preisträger und seine Preisschrift vorzustellen, wollten wir jedoch nicht bis zum Nachholtermin im Mai 2021 warten. Wir haben dem Preisträger deshalb drei Fragen zur Romantik gestellt und er hat Sie uns beantwortet:

1. Was verbinden Sie ganz allgemein mit ‚Romantik‘?

Romantische Poesie – und insbesondere jene von Novalis – wirkt auf mich als Generator unerschöpflicher Frische: Hier kommen Feinfühligkeit und Intelligenz, emotionaler Reichtum und intellektuelle Schärfe auf eine Weise zusammen, die diese Texte und ihre Leser in ständiger Bewegung hält. Die dafür bezeichnende, scheinbar paradoxe Mischung aus Fragilität und Stärke finde ich aber auch ganz anderswo: In Filmen von John Cassavetes, in Büchern von Robert Walser, in der Musik von Nina Simone und Carly Rae Jepsen.

2. Womit genau haben Sie sich in Ihrer Preisschrift beschäftigt? Wie haben Sie sich mit dem Phänomen ‚Romantik‘ auseinandergesetzt?

Die deutsche Romantik steht seit jeher im Verdacht, nationalistischen Tendenzen Vorschub geleistet zu haben und natürlich haben sich sowohl Reaktionäre als auch Nationalisten auf sie bezogen. Der Soziologe Andreas Reckwitz hat allerdings die These aufgestellt, dass auch und gerade ein kosmopoliter Liberalismus auf die Romantik zurückgehe. – Was sollte die Romantik nun also bedeuten: reaktionäre Verknöcherung oder ein unverbindliches Spiel frei flottierender Zeichen? Nationalkulturelle Regression oder völlig ungebundene Exaltation?

Ich hatte eine nochmals andere Antwort im Sinn. Diese ging von Novalis’ Definition des ,Exzentrischen‘ aus: Als ,exzentrisch‘ gelten ihm Verfahrensweisen, die das Sich-selbst-Überschreiten an ein Selbstgefühl rückkoppeln: Ebenso wichtig, wie es ist, manchmal in Trauer oder Begeisterung aus sich hinaus zu treten, ist demnach, trotzdem bei sich zu bleiben. Nicht zufällig spricht Novalis aber von einem Selbstgefühl: Zwar soll der Mensch auf sein Selbst bezogen bleiben, er soll sich aber davor hüten, dieses ganz kennen zu wollen. Das Selbst bleibt ein Gefühl, es lässt sich nur immer neu erproben, aber nie erschöpfend erkennen.

Nun musste man noch zeigen, dass auch diese ,exzentrische‘ Romantik eine Nachwirkung entfaltete. Um dafür einen Vorschlag zu skizzieren, untersuchte ich Texte der sogenannten ,Sonderlingsliteratur‘: Ich las gängige Sonderlings-Autoren wie E.T.A. Hoffmann, Jeremias Gotthelf und Wilhelm Raabe, aber auch neuere Texte bis hin zu Thomas Bernhard, Sibylle Lewitscharoff und Udo Lindenberg. Wie bei Novalis besteht bei ihnen das ,exzentrische‘ Prinzip auch in einer eigensinnigen künstlerischen Haltung. In diesen Texten zeigt sich auch eine Tendenz zunehmender Demokratisierung: Für ideologische Vereinnahmung zu eigensinnig, für das Wutbürgertum zu besonnen, folgen diese Exzentriker auch eigenständigen politischen Ansichten.

3. Haben Sie bereits ein neues Romantik-Projekt?

Wissenschaftlich beschäftige ich mich zurzeit vor allem mit dem Spätbarock, arbeite nebenher jedoch am Drehbuch für einen E.T.A.-Hoffmann-Spielfilm. Im Zuge dessen habe ich nochmals viel von und über Hoffmann gelesen und werde sicherlich die eine oder andere Überlegung dazu auch in einem wissenschaftlichen Zusammenhang zur Diskussion stellen wollen. Bloß am Rand kam in der Diss zudem die Lyrikerin Monika Rinck als potenzielle ,nachromantische Exzentrikerin‘ vor. Dem will ich ebenfalls weiter nachgehen. – Und folgt man Novalis, darf man schließlich nicht vergessen, auch die Welt zu romantisieren. Das betreibe ich zusammen mit meiner Partnerin Romina und unserer Tochter Ada.