Sandra Kerschbaumer , 24.07.2022

„Novalis-Preis“ 2022

Joanna Raisbeck und Klara Schubenz erhalten den diesjährigen „Novalis-Preis“

„1772. 2ten May ist geboren Georg Philipp Friedrich, des Herrn Heinrich Ulrich Erasmus von Hardenberg mit dessen Frau Gemahlin Auguste Bernhardine v. Hardenberg geb. v. Bölzig erzeugtes Söhnlein früh um 6 Uhr getauft den 3 Mai“ – so verzeichnet es das Kirchenbuch Oberwiederstedt.

250 Jahre später wurde in dieser Taufkirche, Teil des Ensembles von Schloss Oberwiederstedt, der Geburtstag des Dichters Friedrich von Hardenberg (Novalis) begangen. Auf dem Gelände eines früheren Klosters befindet sich der ehemalige Familiensitz der von Hardenbergs, der heute als Novalis-Museum und Forschungsstätte für Frühromantik genutzt wird.

Im Rahmen der Festlichkeiten freute man sich am 3. Mai dieses Jahres auch über den 30. Gründungstag der Internationalen Novalis-Gesellschaft, sodass neben dem Ministerpräsidenten, der Kulturstaatsministerin und dem Präsidenten der Friedrich-Schiller-Universität Jena auch der der Präsident der Novalis-Gesellschaft, Nicholas Saul (Durham University), zu den Versammelten sprach und den internationalen „Novalis-Preis“ an zwei junge Wissenschaftlerinnen verlieh.

Der von der Novalis-Gesellschaft und der Forschungsstelle Europäische Romantik für Dissertationen und Habilitationen ausgelobte Preis wird alle zwei Jahre für innovative und impulsgebende Forschungen zur europäischen Romantik vergeben – in diesem Jahr an die Wissenschaftlerinnen Joanna Raisbeck und Klara Schubenz.  

Für Joanna Raisbeck ist es bereits die zweite Auszeichnung. Für ihre Dissertationsschrift Poetic Metaphysics in Karoline von Günderrode erhielt sie im letzten Jahr bereits den „Klaus Heyne-Preis“. Die von Joanna Raisbeck an der Universität Oxford eingereichte Arbeit rekonstruiert das Werk der romantischen Dichterin vor dem Hintergrund ihrer Auseinandersetzungen mit den philosophischen Strömungen ihrer Zeit. Raisbeck arbeitet heraus, dass Günderrode in der Nachfolge von Herders Spinoza-Rezeption eine spezifische Ausprägung des Pantheismus vertritt: einen Panentheismus. Günderrodes Besonderheit liege, so Raisbeck, u. a. darin, „dass sie die Idee der Naturalisierung des Individuums bis zu dem Punkt vorantreibt, an dem die Natur und der Mensch keine getrennten Seinsordnungen mehr sind“.

Mit ihrer Studie Der Wald in der Literatur des 19. Jahrhunderts. Geschichte einer romantisch-realistischen Ressource (Konstanz University Press 2020) zeichnet Klara Schubenz eine Verflechtungsgeschichte zwischen der Arbeit am Imaginären des Waldes und seiner realgeschichtlichen Rolle als Ressource im Übergang vom agrarischen zum industriellen Zeitalter. Dabei berücksichtigt die im Konstanzer DFG-Graduiertenkolleg „Das Reale in der Kultur der Moderne“ entstandene Untersuchung eine Vielzahl von außerliterarischen Quellen aus der Umwelt-, Rechts-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. „Literaturgeschichtliche Prozesse“, so heißt es bei Schubenz, „sollen hier nicht als Folge gesellschaftlichen Wandels verstanden werden, sondern in komplexer Ko-Evolution mit diesen.“

Mit dem „Blütenstaub-Preis“ für junge Romantik-Projekte wurden Abiturientinnen und Abiturienten vom Berliner Rosa-Luxemburg-Gymnasium ausgezeichnet. Begleitet vom Walter-Benjamin-Archiv und dem Vermittlungsprogramm KUNSTWELTEN der Akademie der Künste Berlin haben sie den Film Die Reise nach Port­bou/Auf der Suche nach Walter Benjamin produziert.

Pünktlich zum 250. Novalis-Geburtstag eröffnete in Oberwiederstedt unter dem neuen Museumsdirektor Steffen Schmidt auch die aktuelle und erweiterte Ausstellung zu Leben, Werk und Zeitgenossenschaft des Dichters, die unter anderem das Taufhäubchen des Novalis zeigt und das Bild des Dichters in der blau-goldenen Tracht der Studenten der Freiberger Bergakademie, an der Novalis ab 1797 studierte. Der Blick der großen Augen geht in die Ferne, das Haar fällt lang über die Schultern – das Porträt zeigt den jungen Dichter und zugleich den juristisch und naturwissenschaftlich ausgebildeten Bergbauingenieur.

Beide Lebensbereiche versuchte Novalis durch das Prinzip des „Romantisierens“ zusammenzuführen: „Romantisieren ist nichts, als eine qualitative Potenzierung. Das niedre Selbst wird mit einem bessern Selbst in dieser Operation identifiziert. Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe so romantisiere ich es.“

Schloss Oberwiederstedt ist ein Ort, an dem Besucher:innen im Park, in der Taufkirche, im Gebäude, auf den Stufen, die schon Novalis beschritt, über den Mann nachdenken können, der 1801 mit 28 Jahren starb, der ein reiches poetisches und intellektuelles Erbe hinterließ:

„Unsern Freunden und Verwandten mache ich hierdurch bekannt, daß meiner ältester Sohn, Georg Philipp Friedrich von Hardenberg, Assessor bey der Local-Salinendirection, am 25sten dieses Monats an der Auszehrung im 29sten Jahres seines Alters gestorben ist, und verbitte alle Beyleidsversicherungen. Weißenfels, den 30. März 1801. Heinrich Ulrich Erasmus von Hardenberg.“ (Anzeige aus der Leipziger Zeitung)

 

Hier finden Sie die Informationen zur Preisverleihung der Internationalen Novalis-Gesellschaft.

Die Gewinnerinnen des Novalispreises 2022: Dr. Joanna Raisbeck (l.) und Dr. Klara Schubenz. Foto: John Cairns

Novalis-Museum Schloss Oberwiederstedt

Novalis-Museum Schloss Oberwiederstedt

Georg Phillip Friedrich von Hardenberg, Novalis (1722-1801), Maler unbekannt, Öl auf Leinwand, Novalis-Museum Schloss Oberwiederstedt

Taufhäubchen von Friedrich von Hardenberg, Novalis-Museum Schloss Oberwiederstedt