Celina Imm , 17.04.2023

Online-Kolloquium für „Junge E.T.A. Hoffmann-Forschung“

Organisiert von Dennis Schäfer (Universität Princeton) und in Kooperation der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft sowie der Staatsbibliothek Bamberg fand am 14. April 2023 zum zweiten Mal das Online-Kolloquium für Junge E.T.A. Hoffmann-Forschung statt. Das Kolloquium soll Nachwuchswissenschaftler:innen eine Plattform bieten, eigene (nicht unbedingt bereits abgeschlossene) Projekte vorzustellen und sich im fachlichen Austausch Feedback von anderen Wissenschaftler:innen einzuholen. Vier E.T.A. Hoffmann-Forscher:innen stellten ihre Arbeiten vor.

Das erste Panel stand ganz im Zeichen der Intermedialität. Jörg Holzmann (Universität Bern) referierte zu den verschiedenen Adaptionen von Andrej Tarkowskij nie verfilmtem Drehbuch Hoffmanniana. Gegenstand der Untersuchung waren die Umsetzungen unter den jeweiligen spezifischen medialen Möglichkeiten. Ein besonderer Fokus lag dabei auf dem Motiv des Spiegels, der in Tarkowskijs Schaffen eine zentrale filmphilosophische Denkfigur darstellt. Im Drehbuch taucht der Spiegel als Gegenstand auf, findet aber auch symbolisch in der Darstellung von Doppelgängern seinen Niederschlag und in der Aufweichung der Grenzen zwischen Fantastik, Wirklichkeit, Vergangenheit sowie Zukunft – Elemente, die auch für Hoffmanns Werk relevant sind. Für den Vortrag analysierte Jörg Holzmann kontrastiv vier Umsetzungen des Drehbuchs: Kai Grehns Hörspielfasssung Hoffmanniana (SWR/RBB 2004), Dietrich Sagerts Theateradaption Hoffmanniana (2003 uraufgeführt am Théâtre National de Chaillot, Paris), die Oper Hoffmanniana (2003) auf Grundlage des Librettos von Erick Aufderheyde und mit Musik von Hanna Kulenty sowie das Opernprojekt Tarkovsky – The 8th Film von Thomas Desi, das eigentlich 2004 bei den Bregenzer Festpielen aufgeführt werden sollte, aber letztlich 2020 in überarbeiteter Form als digitales Bildschirmformat erschien. Dabei nahm Holzmann insbesondere den Einsatz von Musik in den Blick sowie die Umsetzung von zwei spezifischen Spiegel-Szenen. Besonders interessant erschienen hier die neuen Dimensionen, die das Digitale in der Adaption von Hoffmanns Werk spielt/spielen kann, auf die Holzmann in seinem Ausblick verwies.

Sahib Kapoor (Jawaharlal Nehru Universität/Universität Freiburg (CH)) untersuchte in seiner Arbeit das Wechselspiel zwischen Illustration und Erzählung. Anhand von E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann erforschte er diese intermediale Dynamik im Hinblick auf Illustrationen der deutschsprachigen Expressionisten zwischen 1913 und 1925. Anlässlich des 100-jährigen Todestages, so Kapoor, seien viele Neuausgaben von E.T.A. Hoffmann erschienen, wobei es vor allem die Expressionisten gewesen seien, die Hoffmanns Motivwelt für sich wiederentdeckt und Hoffmann aus der Versenkung geholt hätten. Kapoor betonte die Eigenständigkeit der Illustrationen, die dem Text eine neue Dimension einschreiben und selbst eine Erzählfunktion übernehmen. In seinem Vortrag verwies er auf die großen Gesamttendenzen bei den Illustrationen: So sei bei allen hauptsächlich die Figur des Coppelius bzw. Coppola abgebildet (während etwa bei den Illustrationen in den Neuerscheinungen anlässlich des 200. Todestages vor allem die Figur der Olimpia im Vordergrund stehe). Außerdem analysierte Kapoor, inwieweit die Illustrationen unter Rückgriff ihrer medialen Bedingungen bestimmte Hoffmann’sche Erzählbesonderheiten widerspiegeln, wie etwa die Unentscheidbarkeit der fantastischen Momente. Darüber hinaus gab Kapoor interessante Einblicke in den mitunter schwierigen Forschungsprozess, da oftmals die spezifischen illustrierten Ausgaben vergriffen sind oder nur in bestimmten Bibliotheken vorliegen.

Das zweite Panel legte den Fokus auf literaturwissenschaftliche Arbeiten. Zunächst stellte Sophie Lauster (Universität Jena) ihr Dissertationsvorhaben zu den Transformationen des Schwarzromantischen zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor. In ihrem Beitrag referierte sie über ein Teilkapitel ihrer Doktorarbeit, das sich mit den bis jetzt noch kaum erforschten intertextuellen Bezügen zwischen dem erzählerischen Œuvre von Leo Perutz und E.T.A. Hoffmann befasst. Sie analysierte hierfür Perutz kurze Erzählung Der Mond lacht. Dabei folgte sie nicht nur den Parallelen, die sich auf Ebene der Motive (das dunkle Familiengeheimnis oder die wissenschaftlichen Sehinstrumente) und narrativen Form (unzuverlässiges Erzählen, Spiel mit der Herausgeberfiktion) abzeichnen, sondern untersuchte die Hoffmann‘schen Elemente auch auf deren problemgeschichtliche Funktionen innerhalb der Texte. In Anlehnung an die englische Gothic-Forschung ging Lauster davon aus, dass das Schwarzromantische als literarischer Krisenreaktionsmodus auftauchte, um gesellschaftliche Problematiken zu verhandeln, im Falle von Perutz etwa Geschichtsskeptizismus, Subjektkrise und Erkenntnisskepsis. In der anschließenden Diskussion wurde ebenfalls die Frage nach den Unterschieden im Bereich der Funktion aufgeworfen und besprochen, etwa die Funktion und Bewertung der Fantasie oder des Erzählens.

Der letzte Vortrag von Romy Schneider (Universität Halle) verfolgte gattungstheoretische Überlegungen zu E.T.A. Hoffmanns Fräulein von Scudery. Im Rahmen ihrer Masterarbeit hatte Schneider das Zusammenspiel von Fantastik und Kriminalnovelle untersucht. Sie arbeitete dabei das Spannungsverhältnis von realistischer Erzählweise, dem die Kriminalliteratur üblicherweise verpflichtet sei, und den Einbruch des Wunderbaren/Fantastischen bei E.T.A. Hoffmann heraus, das sich vor allem in dem sonderbaren Charakter des Juweliers Cardillac kondensiere. Die Referentin hob hervor, dass es sich bei Hoffmanns Fräulein von Scudery keineswegs um eine konventionelle Kriminalgeschichte handle, da der Ermittlungsprozess nicht via Vernunft und logischer Deduktion vollzogen werde, sondern durch (künstlerische) Erzählung und Emotionen bestimmt sei. In der anschließenden Diskussion wurde dieser Punkt unter dem Aspekt der Kategorie „gender“ noch einmal aufgegriffen sowie die Doppelung der Künstler:innenfigur in Cardillac als Mörder und dem Fräulein von Scudery als Ermittlerin ausführlicher diskutiert.

Das Kolloquium bot damit einen informativen Einblick in unterschiedlichste wissenschaftliche, an Hoffmann anknüpfenden Arbeiten und somit ein Forum für einen produktiven Austausch mit regen und interessierten Diskussionen sowie sicherlich mit vielen neue Denkanstößen und Literaturhinweisen – wenn man so möchte, ging ein symphilosophischer Hauch durch die Zoomfenster und man freut sich bereits auf die Lektüre der im Entstehen begriffenen oder anschließenden Arbeiten der Nachwuchsforscher:innen.

 

Programm:

Grußwort von Prof. Dr. Claudia Liebrand (Universität zu Köln)

Panel I (Moderation: Celina Imm, Universität Bremen/Staatsbibliothek Berlin)

Jörg Holzmann (Universität Bern), „… als sei ich zersprungen in ungezählte Stücke“: Untersuchungen zur Transmedialität von Tarkowskis nicht realisiertem Filmszenario Hoffmanniana
Response: Prof. Dr. Stefan Tetzlaff (Universität Göttingen)

Sahib Kapoor (Jawaharlal Nehru Universität), Die Überschneidung von Verbalem und Visuellem. E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann (1816) und seine Darstellung in Buchillustrationen
Response: Dr. habil. Ingrid Lacheny (Universität Metz)


Panel II (Moderation: Agathe Duperron, Universität Heidelberg)

Sophie Lauster (Universität Jena), „[D]er Einbruch der E. T. A. Hoffmannschen Welt“ – Transformationen des Schwarzromantischen in Leo Perutz’ Erzählung Der Mond lacht (1915/1930)
Response: Dr. Stephanie Großmann (Universität Passau)

Romy Bergmann (Universität Halle), Reales und Fantastisches in der Kriminalliteratur des 19. Jahrhunderts. Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung von E.T.A. Hoffmanns Das Fräulein von Scuderi
Response: Dr. Alina Boy (Universität zu Köln)

Schlusswort von Prof. Dr. Bettina Wagner (Staatsbibliothek Bamberg), Präsidentin der E.T.A. Hoffmann Gesellschaft