David Grube-Palzer , 08.11.2022

„Reflections on European Romanticism(s) in the Visual Arts“

„State of Research and Future Perspectives“

Vom 14. bis 16. September 2022 kamen im Rahmen der hybrid ausgerichteten Tagung Reflections on European Romanticism(s) in the Visual Arts: State of Research and Future Perspectives Forschende aus Museen und Universitäten an der Friedrich-Schiller-Universität Jena zusammen. Fünfzehn Vortragende aus sechs verschiedenen Ländern (Deutschland, England, Frankreich, Niederlande, Schweden, USA) präsentierten ihre Forschungsergebnisse vor dem anwesenden Publikum sowie Teilnehmenden im digitalen Raum. Die Tagung wurde von Elisabeth Ansel, Johannes Grave, Christin Neubauer und Mira Claire Zadrozny organisiert und von der DFG gefördert.

Johannes Grave (Jena) eröffnete den ersten Tag mit einer konzeptuellen Einführung in das Thema. Er wies darauf hin, dass mögliche übergreifende europäische Gemeinsamkeiten der Romantik nur selten in den Fokus der Forschung rücken. Zum einen, weil diese noch immer überwiegend nationalen Ansätzen folgt, zum anderen, weil oftmals zu wenig über aktuelle Fragen und Ergebnisse von Forschenden aus anderen Ländern oder in anderen Sprachen bekannt ist. Aus diesem Grund sei das dezidierte Ziel der Tagung nicht vorrangig die Auseinandersetzung mit der Frage, ob von einer europäischen Romantik oder Romantiken zu sprechen sei. Vielmehr möchte man die Möglichkeit bieten, eine Vielfalt von Positionen aus verschiedenen Ländern zu versammeln, zu präsentieren und zu diskutieren, um so einen Einblick in die aktuelle Romantikforschung auf internationaler Ebene zu geben. Im Anschluss an die Einleitung stellte Elisabeth Ansel (Jena) die an der Universität Jena beheimatete Forschungsstelle Europäische Romantik sowie die dort angegliederte Forschungsgruppe „Europäische Romantik oder Romantiken in Europa?“ vor und lieferte einen Einblick in die laufenden Forschungsprojekte der Mitglieder der Forschungsstelle. Anschließend stellte sie das Tagungsprogramm vor.

Im ersten Vortrag der Tagung widmete sich Adria Daraban (Cottbus-Senftenberg) unter dem Titel „Figures of the Fragmentary: Romanticism in Architectural Discourses of the Modern“ dem Begriff des Fragmentarischen, seiner Entwicklung in der Architekturgeschichte und der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Begriff in der Frühromantik. Sie zeigte auf, dass Architekten des 20. Jahrhunderts, wie Hans Scharoun oder Hans Hollein, die romantische Idee des Fragments in ihre Architekturentwürfe einfließen ließen. In ihrem Vortrag „‚[…] you misunderstand. It’s the ocean‘: Ossianic Images and Visual Translation Processes in European Romanticism“ widmete sich Elisabeth Ansel (Jena) am Beispiel von J.M.W. Turner und Carl Gustav Carus visuellen Übersetzungsprozessen in der Romantik. Grundlage ihrer Betrachtungen war, dass sowohl Turner als auch Carus mit der Insel Staffa auf dieselben Ossianischen Topoi Bezug nahmen, aufgrund unterschiedlicher künstlerischer Ansätze aber zu divergenten visuellen Ergebnissen gelangten. Wie deutlich wurde, lassen sich anhand der europäischen Ossian-Rezeption übergeordnete Fragen nach dem Konnex von Bildlichkeit und Translation explorieren, woraus zugleich Rückschlüsse auf nationale Identifikationsprozesse und transkulturelle Verflechtungen gezogen werden können. In der Folge ging Julie Ramos (Straßburg) in ihrem Vortrag „‚Je est un autre‘: On the Plasticity of India in European Romanticism“ ebenfalls auf die transkulturelle Dimension der Romantik ein. Auf Grundlage ihrer Auseinandersetzung mit Zeichnungen von Théophile Bra und William Blake zeigte sie auf, dass die Künstler nicht nur die gleichen Inspirationsquellen teilten, sondern dass beiden auch der damit verbundene Prozess der Aneignung eigen war. Ramos’ exemplarische Untersuchung lieferte in einem übergeordneten Sinne Rückschlüsse für Gemeinsamkeiten der französischen sowie der britischen Romantik.

Den Nachmittag eröffnete Christine Tauber (München) mit ihrem Vortrag zum Thema „Romantic Classicism or Classicist Romanticism? New Perspectives on French Romantisme“. Im Gegensatz zu dem von Siegfried Giedion 1922 definierten Begriff des romantischen Klassizismus, befasste sich Tauber mit der Romantik auf der Grundlage klassizistischer Prämissen. Sie zeichnete für Frankreich eine Entwicklung ab dem späten 18. Jahrhundert nach, in der sich neue Themen wie Albträume, Gewalt und Laster gegenüber dem Idealbild der Antike manifestierten und konzentrierte sich in diesem Kontext auf die Bedeutung der „poetic idea“. Anschließend folgte Boris Roman Gibhardt (Berlin/Weimar) mit seinem Beitrag zum Thema „Rhetoric of Romanticism: What’s Left of Semiology?“. Er adressierte das kommunikative Potential des romantischen Symbolsystems und warf die Frage auf, mit welcher Methode es am besten zu entschlüsseln sei. Am Beispiel von Philipp Otto Runges Der Morgen von 1808 zeigte er zunächst die Schwierigkeiten dieses Vorhabens auf. Als fehlendes Bindeglied zwischen Paul de Mans Dekonstruktion und einer eher historischen, auf Kommunikation bestehenden Herangehensweise diskutierte er das Potential eines „post-semiologischen“ Ansatzes. Barthélémy Jobert (Paris) widmete sich in seinem Vortrag zum Thema „French and British Romanticisms: Print Matters“ dem wechselseitigen Einfluss, den die Verbreitung von Bildvorlagen mittels des Einsatzes von Druckgrafiken auf die künstlerische Entwicklung in beiden Ländern nahm. Anhand verschiedener Beispiele zeigte er auf, dass großen Teilen der französischen Öffentlichkeit viele britische Künstler*innen der Romantik nur durch druckgrafische Reproduktionen ihrer Gemälde bekannt waren. Abschließend betonte er die Komplexität des Themas, da jede*r Künstler*in individuell betrachtet werden müsse, verwies aber auch darauf, dass diese grundlegende Thematik für eine vollständige Auseinandersetzung mit der Geschichte einer europäischen Romantik berücksichtigt werden müsse. Der letzte Vortrag des ersten Tages ermöglichte einen umfassenden Forschungsüberblick zur Romantik im anglophonen Raum. Indem Tim Barringer (New Haven) unter dem Titel „Anglo-Romantic Art. Current Perspectives“ den gesamten englischen Sprachraum analysierte, gelang es ihm aufzuzeigen, wie unterschiedlich die Entwicklung der Romantik innerhalb dieses Sprachraums verstanden und bewertet wurde. Zudem betonte er, wie sich die von der Forschung adressierten Fragestellungen in den letzten Jahrzehnten gewandelt haben. In diesem Kontext zeigte er neue Perspektiven auf, die sich etwa Impulsen der postcolonial oder ecological studies verdanken. Auf diese Weise gelangen in der Romantikforschung sukzessive auch kritische Fragen in den Blick, die sich bis dato vernachlässigten Aspekten wie Sklaverei, Indigenität sowie Industrialisierung und Umwelt zuwenden.

Der zweite Tagungstag startete mit einem Vortrag von Antoon Erftemeijer (Haarlem) über „Nature – Art – God: The Role of Religion in the Experience and Depiction of Nature by Dutch Landscape Painters, c. 1780–1870“. Er stellte zunächst die grundlegende Frage nach der Rolle von Religion in der Landschaftsmalerei der Romantik, bevor er sie, fokussiert auf die niederländische Landschaftsmalerei, diskutierte. Erftemeijer wies unter Berücksichtigung von Textquellen, in denen sich die Künstler zu religiösen Momenten innerhalb ihrer Naturerfahrungen äußern, nach, dass nicht nur die in ihren Gemälden dargestellten christlichen Symbole als ganz bewusste Bezugnahme zum Christentum angelegt sind, sondern dass darüber hinaus die Schönheit der Natur selbst, in Form von alten Eichen oder der Sonne, als Verweis auf Religion verstanden werden kann. In seinem Vortrag zu „Topography and Constitutive Blanks: On the Interactive Narrativity of Landscape Painting“ machte Carl-Johan Olsson (Stockholm) Wolfgang Isers Theorie der „Leerstellen“, die bereits 1985 von Wolfang Kemp auf die Historienmalerei angewandt worden war, für die deutsche und dänische Landschaftsmalerei nutzbar. Ihm gelang es, die Leerstelle als geistig anregende Figur in der Malerei mit ähnlichen Entwicklungen in der Literatur und der Ästhetik der damaligen Zeit in Verbindung zu setzen. Unter dem Titel „‚Something more than imitations of nature‘: Thomas Cole’s Late Landscapes and Romanticism“ widmete sich Christian Scholl (Hildesheim) mit dem Gemäldezyklus The Course of Empire fünf Werken Coles, die maßgeblich durch seine Europareise zwischen 1829 und 1832 beeinflusst worden waren. Er zeigte auf, dass Cole die in Europa adaptierten und in seinem Sinne anwendbar gemachten Individualstile verschiedener Künstler einsetzte, um durch deren spezifische Verwendung unterschiedliche Typen und Zustände von Landschaften zu kommunizieren. So nutze Cole etwa den dramatischen Stil Salvator Rosas als Ausdrucksform für The Savage State sowie den ausbalancierten klassischen Stil Claude Lorrains für The Arcadian State.

Im Anschluss folgte der Vortrag von Kurt W. Forster (Princeton) zum Thema „On Wings of Science and Art“. Forster stellte die sich ausdifferenzierenden Wissenschaften als einen Teilbereich der Romantik vor, der eindeutig als europäisches Phänomen verstanden werden sollte. Die Fortschritte auf den Gebieten der unterschiedlichen Wissenschaften verbreiteten sich in Übersetzungen und führten zu einem im ständigen Austausch befindlichen internationalen System. Dieses System und die darin gewonnen Erkenntnisse wiederum, stießen auf ein zunehmendes Interesse bei Künstlern, Schriftstellern und Philosophen. Cordula Grewe (Bloomington) diskutierte unter dem Titel „Style Versus Concept: Some Methodological Reflections on Romanticism’s Gestalt“, dass die Romantik als kollektive geistige Struktur ein Konzept, jedoch kein Stil sei und dass sie, wenn wir sie als Weltanschauung verstehen, ihren Ausdruck in einer Vielzahl von Romantiken finde, die auf höchst unterschiedliche Medien, Stile, Motive, Genres usw. zurückgreifen können. Den Abschluss des zweiten Tages bildete Michael Thimann (Göttingen) mit seinem Vortrag „The Narratives of German Romanticism. Some Notes“. Er verwies zunächst auf das in der Nachkriegszeit vorherrschende Desinteresse an der Kunst der deutschen Romantik und konstatierte anschließend eine in den letzten zwei Jahrzehnten einsetzenden Konjunktur. Dieses neue Interesse erstreckt sich nicht nur auf die zentralen Figuren der Zeit, wie etwa Caspar David Friedrich und Philipp Otto Runge, sondern findet seinen Niederschlag auch in wissenschaftlichen Arbeiten und Ausstellungen zu Themenkomplexen wie z.B. den Nazarenern. Thiemann verwies überdies auf aktuelle Tendenzen und Desiderate, wobei er die Relevanz von übergreifenden theoretischen und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen gegenüber einer ausschließlichen Auseinandersetzung mit individuellen Biografien einzelner Künstlerpersönlichkeiten betonte.

Mit seinem Beitrag „Projection and Occupation: Romanticism and the German National Discourse in Carl Alexander Simon“ eröffnete Miguel Angel Gaete (York) den dritten Tag und ergänzte das breite Spektrum an Themen, indem er eine außerhalb Europas stattfindende Entwicklung in den Blick nahm. Mit Carl Alexander Simon diskutierte er einen deutschen Künstler der Romantik, der die Idee verfolgte, im Kontext der Kolonialisierung Südamerikas im Süden Chiles eine deutsche Kolonie einzurichten. Simon versah die chilenische Landschaft mit der Symbolik des Paradieses und setzte die Wälder Chiles in Bezug zur Idee des deutschen Waldes. Mittels dieser bewussten Visualisierungsstrategie, spezifische in der deutschen Romantik zu verortende Konzepte in andere Kontexte zu transponieren, inszenierte er die chilenische Landschaft als ein imaginäres Gebiet „over which Germans claimed ownership“. Im letzten Vortrag zum Thema „Raden Saleh in Dresden: Transcultural Romanticism“ widmete sich Holger Birkholz (Dresden) dem indonesischen Künstler Raden Saleh. Nach einer kurzen Einführung in das Leben des Künstlers konzentrierte sich Birkholz auf dessen Dresdner Jahre und hob hervor, wie Saleh seine spezifische Position im kulturellen Kontext der Spätromantik suchte und dabei sein eigenes Bild im Spannungsfeld zwischen Heimat und Europa konstruierte. Eine von Johannes Grave und Mechthild Fend (Frankfurt am Main) geleitete Diskussion, die von Fend mit einer Zusammenfassung der Tagung eingeleitet wurde, bildete den Abschluss der Tagung.

Indem die Tagung Forschende verschiedener Sprachräume zusammenbrachte und eine Bandbreite unterschiedlichster Themen versammelte, gelang es, einen differenzierten Einblick in aktuelle Positionen der internationalen Romantikforschung zu geben. Neben den zahlreichen transnationalen Ansätzen innerhalb Europas ist auf die diskutierten außereuropäischen Perspektiven zu verweisen. Mit den transkulturellen Wechselwirkungen zwischen Europa einerseits und Chile, Indien und Indonesien andererseits kamen verstärkt zuvor marginalisierte Aspekte der Romantikforschung in den Blick. Als sehr fruchtbringend erwiesen sich auch die Forschungsüberblicke für den deutschen und englischen Sprachraum, die in besonderer Weise auch auf aktuelle sowie zukünftige Positionen innerhalb der Romantikforschung aufmerksam machten. Ausgehend von den bereits angesprochenen transnationalen Perspektiven bot die Tagung zahlreiche Anknüpfungspunkte an die Frage, ob von einer europäischen Romantik oder mehreren unabhängig voneinander zu betrachtenden Romantiken gesprochen werden könne. An verschiedenen Stellen wurden sowohl Gemeinsamkeiten als auch Trennlinien sichtbar, die vielversprechende Impulse für eine weitere Beschäftigung mit dem Thema gaben. Nicht zuletzt die anregenden und intensiven Diskussionen zwischen allen Beteiligten machten deutlich, welches Potential der internationale Austausch zur aktuellen Romantikforschung bietet.

Einführung und Eröffnung der Tagung durch Johannes Grave

Elisabeth Ansel bei ihrem Vortrag

Tim Barringer bei seinem Vortrag

Blick in die Rosensäle während des Vortrags von Antoon Erftemeijer

Cordula Grewe bei ihrem Vortrag

Empfang im Garten von Schillers Gartenhaus

Mechthild Fend und Johannes Grave bei der Abschlussdiskussion