Justus Hierlmeier und Robert Schwieder , 05.07.2023

„Rethinking British and European Romanticisms in Transnational Dimensions - Teil I“

Internationaler Workshop der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der University of York (Jena, Rosensäle, 28.–30.03.2023)

Vom 28. bis zum 30. März kamen in Jena 16 Kunsthistoriker*innen der University of York und der Friedrich-Schiller-Universität Jena zusammen, um sich im Rahmen eines wissenschaftlichen Workshops über ihre Forschung zur britischen und europäischen Romantik auszutauschen. Die Veranstaltung wurde von Elisabeth Ansel (Jena), Johannes Grave (Jena), Richard Johns (York), Christin Neubauer (Jena) und Elizabeth Prettejohn (York) organisiert und von der DFG gefördert. Der Workshop stellte eine erstmalige Kooperation der kunsthistorischen Institute in Jena und York dar. Die Zusammenarbeit beider Universitäten bot aufgrund der jeweiligen Schwerpunkte der Institute ideale Voraussetzungen für die gemeinsame Erforschung der europäischen Romantik in transkultureller Perspektive: So arbeitet die Forschungsgruppe „Europäische Romantik oder Romantiken in Europa?“ der Friedrich-Schiller-Universität Jena an Projekten zu transnationalen Bezügen und Transferprozessen in der Bildkunst der Romantik. Zudem zeichnet sich die University of York durch ihren einzigartigen Fokus auf britische Kunstgeschichte sowie durch institutionsübergreifende Forschungen zur Romantik aus. Zentral ist darüber hinaus, dass es sich bei Jena um den Ort handelt, von dem aus die Ideen der (Früh)Romantik in ganz Europa verbreitet wurden.
In Anbetracht nationaler Rückbesinnungstendenzen und aktueller Ereignisse – wie etwa dem Brexit –, die die europäische Idee herausgefordert haben, ergab sich die Frage, inwieweit nationale und europäische Identitätsvorstellungen miteinander in Einklang gebracht werden können. Im Rahmen von individuellen Fallstudien ging der Workshop in sechs thematischen Sektionen transnationalen Transferprozessen und Alteritätskonstruktionen im Kontext der Romantik nach.

Early Romantic Relations
Nach einer Einführung in die Ziele und Themen des Workshops durch Elisabeth Ansel und Christin Neubauer eröffnete Johannes Rößler (Jena) den ersten Tag der Veranstaltung mit seinem Beitrag Towards a Modern Theory of Illustration: August Wilhelm Schlegel on John Flaxman. Er ging dabei von einer 1798 im Athenaeum erschienenen Rezension Schlegels zu Flaxmans Stichen aus und beschäftigte sich mit einem neuen romantischen Zugang zur Literaturillustration. Schlegel bezog sich in diesem Text auf Gotthold Ephraim Lessings Laokoon (1766) sowie Johann Wolfgang von Goethes Autonomieästhetik und markierte einen Wendepunkt in der deutschen Illustrationsdebatte, indem er das Verhältnis zwischen Text und Bild grundsätzlich neu dachte. Es folgte Tilman Schreiber (Jena) mit seinem Vortrag Gavin Hamilton and the Aesthetics of Dilettantism, in dem er Hamiltons Antikenbezug als Quasi-Avantgarde herausstellte. Schreiber konzentrierte sich dabei auf Hamiltons Gemälde Jupiter Caressing Juno (1770), das sich in Holkham Hall in Norfolk befindet. Das Gemälde zeuge von Anspielungen auf antike Literatur und Kunst und werde raffiniert zu der restlichen Einrichtung des Raumes in Beziehung gesetzt. Olympische Gottheiten könnten laut Schreiber als Alter Ego des britischen Adels im 18. Jahrhundert verstanden werden. Das Gemälde sei somit zugleich als humoristischer Kommentar zum Verhältnis der Geschlechter allgemein, aber auch spezifisch zu dem des Auftraggebers Thomas Coke mit seiner Frau zu verstehen. Diese Eigenschaften würden den Kern der von ihm so bezeichneten „Ästhetik des Dilettantismus“ ausmachen. Beide Vorträge nahmen Beispiele in den Blick, die sich zeitlich an der Grenze der Frühromantik bewegen und somit exemplarisch darlegen, inwieweit romantische Positionen im ausgehenden 18. Jahrhundert vorbereitet wurden.

Romanticism in the Context of New Turns
Mira Claire Zadrozny (Jena) eröffnete mit ihrem Beitrag European Romantic Ruins? The ‚Architectural Uncanny‘ in Nineteenth-Century French and British Landscape Painting die zweite Sektion und wendete Anthony Vidlers Theorie des Unheimlichen auf ein Ruinenpendant des französischen Malers Paul Huet an. Das Haus eigne sich laut Vidler besonders zum theoretischen Verständnis des romantischen Konzeptes des Geisterhauses (haunted house) insofern, als es anthropomorphe Züge aufweise und damit auf die Sterblichkeit des Menschen anspiele. Zadrozny beschrieb, wie derartige Ambiguitäten dazu beitragen, in Bildern von Ruinen eine unheimliche Atmosphäre zu erzeugen. Hierzu diente ein Vergleich mit dem von Huet gefertigten Gemälden des Schlosses Pierrefonds in der Nähe von Compiègne, wobei eines der Bilder das Gebäude in intaktem Zustand darstellt, das andere als Ruine. Diese Ambivalenz wirft die Frage auf, ob der Verfallsprozess eines historischen Bauwerks oder die Rekonstruktion einer Ruine dargestellt werden soll. Mit dieser Analyse verortete Zadrozny das ‚visual uncanny‘ als ästhetische Kategorie in der Romantik und zeigte mittels Anwendung eines rezeptionsästhetischen Ansatzes Potentiale in der Befragung romantischer Bilder auf. Marte Stinis (York) läutete mit ihrem Vortrag Depicting Romantic Music-Making den Nachmittag ein. Elemente romantischen Denkens wie Subjektivität, Kontemplation sowie Hörverhalten hätten im Wesentlichen auf Diskurse über Musik, das Musizieren oder bildliche Darstellungen musikalischer Darbietungen sowie deren Rezeption in der bildenden Kunst eingewirkt. Im Laufe des 19. Jahrhunderts seien in Europa zahlreiche Bilder, vor allem von der Rezeption musikalischer Klänge, also Bilder von Hörer*innen entstanden. Es lasse sich ein wiederkehrendes Interesse an romantischen Vorstellungen wie Kontemplation, Subjektivität und Innerlichkeit erkennen, wobei Emotionen als Reaktion auf Musik eine zentrale Rolle spielen. Durch ihren Ansatz des*r ‚visuellen Hörer*in‘ und der Verbindung von motivischer und rezeptionsästhetischer Analyse legte Stinis dar, wie Künstler*innen ,synästhetische‘ Wahrnehmungsvorgänge bei den Betrachtenden auszulösen suchten, die im Sinne des romantischen Ideals stehen, eigene Erfahrungen und Emotionen zu transzendieren. Caitlin Doley (York) sprach in Ihrem Vortrag Venerable Vulnerability? Violence Against Animals in Romantic Artworks unter Rückgriff auf Randy Malamud über die Interaktionen zwischen Mensch und Tier in romantischer Kunst. Obwohl die Romantik in der Regel als eine Bewegung verstanden werde, die mehr Wertschätzung der Natur einfordere, könne der von Malamud identifizierte Trend in diversen romantischen Kunstwerken ausgemacht werden. Diesen Gedanken illustrierte Doley in der Folge an J. M. W. Turners Walfangbildern von 1845 bis 1846. Die Beiträge lieferten innovative Denkansätze hinsichtlich neuer Entwicklungen in der Romantikforschung, die mit Blick auf die Frage nach einer gemeinsamen europäischen Romantik produktive Entwicklungen versprechen und die motivische Bildebene mit material- und rezeptionsästhetischen Aspekten verknüpfen.

Evening Lecture
Richard Johns’ (York)
Evening Lecture trug den Titel Art of the Living Dead. Er bezog sich dabei auf den Nachlass J. M. W. Turners an den britischen Staat. Das Anliegen bestehe darin, sich dem Vermächtnis des Künstlers im weiteren Sinne und speziell im Zusammenhang mit Narrativen der Romantik oder romantischer Kunst anzunähern. Den Denkanstoß habe der Aufsatz Ars Moriendi: The Mortality of Art des niederländischen Kunsthistorikers Gary Schwartz gegeben, der in seinem Text behauptet, es wäre das natürliche Schicksal der Kunst, nicht zu leben, sondern zu vergehen. Für Turners Hinterlassenschaft gelte das laut Johns aber gerade nicht, weil diese kuratorisch immer wieder neu belebt werde. Johns schloss mit einem Verweis auf die untote Kraft von Turners Vermächtnis, nämlich Cornelia Parkers Installation Room for Margins von 1998, in der Leinwandfragmente aus dem Nachlass neu präsentiert wurden. Im Reflektieren über die ,zombiehafte‘ Kraft des Turnernachlasses regte Johns signifikante Fragen im Umgang mit umfangreichen Hinterlassenschaften an, die durch kuratorische Praktiken starke Zuschreibungen vor allem im Zusammenhang mit nationalen Identitäten erfahren.

Transcultural Romanticism and Peripheries
Der zweite Tag des Workshops eröffnete mit Helena Cox’ (York) Beitrag Bohemian Romanticism – The Mánes Family. In Bezug auf den Kunsthistoriker Matthew Rampley stellte Cox die Frage, warum böhmische beziehungsweise tschechische Kunst außerhalb Tschechiens so wenig Beachtung finde und deutete auf das Problem einer ‚horizontalen‘ Kunstgeschichte (Piotr Piotrowski) hin. Einer der Gründe für Josef Mánes’ Berühmtheit innerhalb Tschechiens und seine nahezu gänzliche Unbekanntheit im Ausland liege in der traditionellen Dichotomie zwischen Zentrum und Peripherie. Cox hingegen stellte auf transkulturellen Austausch scharf und präsentierte signifikante Beispiel für den produktiven Austausch im Werk von Josef Mánes. Der Vortrag endete mit der Frage nach der Rolle des Nationalismus in der Romantik und stieß eine Debatte über Strategien an, mittel- und osteuropäische Kunst in eine weniger kanonorientierte und vielmehr global ausgerichtete Kunstgeschichte einzubinden. Elisabeth Ansel (Jena) folgte mit ihrem Vortrag „The spell of the feminine idiosyncrasy“: Gender and Visual Ossianism. In Anbetracht der Fülle Ossianischer Kunstwerke sei es bezeichnend, dass die Kunstgeschichte Werke von Künstlerinnen bis dato weitestgehend ignoriert habe. Mit dem Ziel, diese Lücke zu schließen, analysierte Ansel exemplarisch das 1806 entstandene und im Pariser Salon ausgestellte Gemälde Malvina Lamenting the Death of Oscar der Malerin Elizabeth Harvey. Ansel zufolge habe Harvey eine eigenständige Version der Ossianischen Bildwelt geschaffen, in der Malvina als Protagonistin zu verstehen sei. Damit habe die Malerin dem Aspekt heroischer Weiblichkeit visuell Entsprechung verliehen. Ihr Gemälde verdeutliche, dass die in Ossian angelegten genderfluiden Entwürfe für Künstlerinnen wie Harvey ein geeignetes Mittel darstellten, um das eigene kreative Schaffen in jener Zeit adäquat zum Ausdruck zu bringen. Ansels Beitrag diente damit auch einer kritischen Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichtsschreibung im Kontext von Romantik und Gender. In ihrem Vortrag George Morland’s „Emblematic Palette“: The Afterlives of Self-Fashioning Landscape Artist untersuchte Rhian Addison McCreanor (York) das Motiv der Künstlerpalette in den Mezzotinti George Morlands am Beispiel Morland’s Emblematic Palette (1806), das eine Künstlerpalette mit verschiedenen, sorgfältig ausgestellten Gegenständen zeigt. Addison McCreanor betonte hierbei, dass jedes Objekt sich auf Morlands Identität und Arbeitspraxis beziehe und damit das Motiv der Palette als Metapher für die Identität des Künstlers und seines Werkes diene. So bringe das Mezzotinto die romantische Vorstellung zum Ausdruck, dass die Fähigkeiten des Künstlers seiner eigenen Vorstellungskraft entspringen und die akademische Praxis untergraben. Die Beiträge der Sektion stellten blinde Flecken der europäischen Romantikforschung in den Vordergrund. Die Marginalisierung osteuropäischer Kulturregionen ist bei der Erforschung von Affinitäten einer gesamteuropäischen Romantik ebenso hinderlich wie der Fokus auf zentral erachtete Themen oder kanonisch gedachte Kunstwerke ausschließlich männlicher Künstler. 

Origins and Afterlives
Die Nachmittagssektion wurde von Sammi Lukic-Scott (York) gestaltet. In ihrem Vortrag Images into Objects: Reproductions and Translations untersuchte sie die Reproduktion von Drucken und Gemälden in Reliefobjekten – wie Porzellan und Eisen – im Vereinigten Königreich des 19. Jahrhunderts und stellte dabei fest, dass Kunstwerke, die im deutschsprachigen Raum produziert und nach England importiert wurden, eine zentrale Rolle in der Entwicklung und Innovation dieses Reproduktionsprozesses spielten. Anhand ausgewählter Beispiele erläuterte Lukic-Scott, dass der Prozess der Transmediation im 19. Jahrhundert nicht nur mit technischen Erfindungen und einer neuen Zugänglichkeit der Werke einherging, sondern auch mit einem kulturellen Austausch zwischen den Nationen. Lukic-Scott machte somit auf Bildmedien aufmerksam, die im 19. Jahrhundert eine große Präsenz in der visuellen Kultur Großbritanniens einnahmen und daher entscheidend an transnationalen Austauschprozessen beteiligt waren, jedoch in der Kunstgeschichtsschreibung bis dato kaum Aufmerksamkeit fanden.

Aesthetic Discourses and Translation Processes
Im Vortrag The German Picturesque: Between a (British) Landscape Aesthetic Category, a Scientific Method, and a Racial Label befasste sich Miguel Angel Gaete Cáceres (York) mit dem Begriff des ‚picturesque‘, der, wie kaum ein anderer Begriff, für die Beschreibung romantischer Kunstwerke deutscher Maler in Lateinamerika verwendet wurde. Gaete suchte nachzuweisen, dass der Begriff in diesem Kontext von seiner ursprünglichen Verwendung in britischer Tradition – als Beschreibung der Organisation des visuellen Raums – gelöst und als Charakterisierung von Menschen und Landschaften, die als ‚exotisch‘ galten, eingesetzt wurde. Im Zuge dessen sei der Begriff mit einer rassistischen Komponente belegt worden. Gaetes Ausführungen zeigten die Bedeutung und Rolle romantischen Denkens über die Grenzen Europas hinaus sowie die Verflechtungen mit kolonialem Denken in der Zeit um 1800 auf. Es folgte der Vortrag Becoming Watteau: Artistic Self-Definition and Painted Art Theory in Turner’s „Watteau Study by Fresnoy’s Rules“ von Lars Zieke (Jena). Der Vortrag nahm Turners Watteau Study (ca. 1831) in den Blick, in der nicht, wie man auf den ersten Blick meinen könnte, Antoine Watteau im Atelier bei der Arbeit dargestellt werde, sondern ein Künstler, der – nach den Vorstellungen des englischen Malers – wie Watteau beim Anfertigen von Bildern vorgehe. Zieke stellte anhand des Werks die Frage, ob Turner in dem Gemälde seine eigene künstlerische Position in Auseinandersetzung mit der Arbeitsweise Watteaus und mit französischer Kunsttheorie definiert habe, um damit eine Theorie seines eigenen Kunstschaffens bildimplizit zur Anschauung zu bringen. Durch diese Ansätze der Vorträge gelang ein transnationaler Blick auf ästhetische Diskurse sowie produktionsästhetische Vorgänge und deren Rezeption im Kontext künstlerischer Transfervorgänge. 

Evening Lecture
Abgeschlossen wurde der zweite Tag des Workshops mit einem Vortrag von Johannes Grave (Jena). Unter dem Titel Romantic Temporalities? stellte er die Frage nach dem Hintergrund der Gemeinsamkeiten in den verschiedenen Ausprägungen der Romantik in Europa, die mit einem grundlegenden definitorischen Problem der Romantik einhergeht. Weder eine gemeinsame Motivik noch ein bestimmter Stil bieten eine zufriedenstellende Antwort auf diese Frage. Stattdessen sieht Grave als gemeinsamen Hintergrund das Nutzen des Potentials der Bilder, um in neuer Weise über fundamentale Probleme nachzudenken. Dieses Potential der Bilder verortete er in der rezeptionsästhetischen Temporalität – im Verwickeln der Betrachtenden in einen vom Bild vorgegebenen zeitlichen Prozess während des Rezeptionsvorgangs. Als gemeinsamen Hintergrund, zumindest einiger Romantiker, sah Grave dementsprechend die Konzeption temporalisierter und performativer Prozesse in der Bildrezeption und untersuchte diesbezüglich theoretische und philosophische Impulse aus der Zeit um 1800, die eine solche Verzeitlichung der Bildrezeption angeregt haben könnten. Graves Hypothese folgend, könnten demnach rezeptionsästhetische Analysen romantischer Werke hinsichtlich der Suche nach Affinitäten innerhalb der europäischen Romantik ein entscheidendes Instrumentarium darstellen. Im Anschluss an die Vorträge fand ein Empfang in Schillers Gartenhaus statt. 

The Late Romantics
Der letzte Tag des Workshops wurde von Nicholas Dunn-McAfee (York) mit seinem Vortrag Breath, Flesh, Warmth: The Pre-Raphaelite Brotherhood’s Immortal Keats eröffnet. Er untersuchte darin die visuelle und verbale Repräsentation der Werke John Keats’ durch die Präraffaeliten. Am Beispiel von Dante Gabriel Rossettis Gemälde The Blessed Damozel (1847–81) zeigte er, inwiefern das Werk eine Weiterentwicklung von Keats’ Gedicht The Eve of St. Agnes (1820) darstelle und Rossettis Sonettenfolge House of Life (1881) als Erweiterung der Keats’schen Idee der Transmortalität zu sehen sei. Diese Transmortalität stelle nach Dunn-McAfee eine wesentliche transmediale Verbindung zwischen Keats und Rossetti dar und sei für das Verständnis von Rossettis Hauptwerken von zentraler Bedeutung. Auch Kayleigh Williams (York) widmete sich in ihrem Beitrag dem Verhältnis der Präraffaeliten zu Keats. Unter dem Titel Picturing Keats: Transmediating Gender and the Wondrous Gaze in „The Eve of St. Agnes“ legte Williams eine detaillierte Analyse der Geschlechterdarstellung und des Blicks vor. Am Beispiel von Keats’ The Eve of St. Agnes und John Everett Millais’ malerischer Umsetzung aus dem Jahr 1843 suchte Williams darzulegen, inwiefern die Komplexität dieses Blicks in der Transmediation auf einen male gaze verengt wurde. Vor dem Hintergrund der Geschlechterdarstellung argumentierte Williams mit Laura Mulveys Konzept des männlichen Blicks. Der abschließende Vortrag wurde von Christin Neubauer (Jena) zum Thema The Romantic Embodiment in Pre-Raphaelite Visual Art gehalten. Am Beispiel von Joseph Noel Patons Gemälde Dawn: Luther in Erfurt (1861) fragte sie, ob die präraffaelitische Malerei als Teil der britischen Romantik wahrgenommen werden kann, anstatt einen Bruch zwischen der Klassifizierung romantischer und viktorianischer Kunst zu markieren. Hinsichtlich der Zugehörigkeit der Präraffaelit*innen zur Romantik argumentierte sie mittels formalästhetischer Vergleiche mit der deutschen Nazarener-Bewegung, die in der kunsthistorischen Einordnung dezidiert der Romantik zugeschrieben werden. Sie legte dar, dass die Präraffaelit*innen Stilelemente der nazarenischen Kunst übernahmen und adaptierten. Anhand formal- und rezeptionsästhetischer Elemente suchte Neubauer nach Merkmalen romantischer Kunst, um die Vorstellung zu widerlegen, dass die Romantik auf eine bestimmte Periode beschränkt sei, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts endete. Die Sektion zu den Late Romantics reflektierte die engen Verbindungen zwischen den Präraffaelit*innen zu Kunstschaffenden und Dichter*innen der Romantik und hinterfragte somit nicht nur das Narrativ der Romantik als Epoche, sondern zeigte auch, dass die britische Künstlerbewegung der Präraffaelit*innen starke formalästhetische Bezüge zur deutschen Romantik aufweist. Es folgte eine von Elisabeth Ansel und Christin Neubauer geleitete Abschlussdiskussion, bei der die Referent*innen die Produktivität des Workshops und den Einfluss verschiedenster Forschungsgebiete aufeinander betonten. 

Seinen Abschluss fand der Workshop in einem Ausflug nach Weimar, bei dem die Gruppe unter der Führung des Kurators Christoph Orth romantische Zeichnungen in den Graphischen Sammlungen der Klassik Stiftung besichtigte. Abschließend führte Johannes Grave durch Goethes Wohnhaus
Der Workshop bot die Möglichkeit des gegenseitigen Einblicks in aktuelle Projekte, die über den Austausch durch neue Impulse bereichert wurden. Die Vielfalt der individuellen Forschungsschwerpunkte sowie der grundlegende Diskurs zur Betrachtung der Romantik in Europa haben das noch nicht erschöpfte Potential des Themas greifbar werden lassen. Vor diesem Hintergrund kündigt sich mit dem geplanten zweiten Teil des Workshops im September 2023 in York eine vielversprechende Fortsetzung der Zusammenarbeit zwischen den kunsthistorischen Instituten der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der University of York an.

Teilnehmende des Workshops in den Rosensälen

Richard Johns bei seiner Evening Lecture

Sammi Lukic-Scott bei ihrem Vortrag

Miguel Angel Gaete Cáceres bei seinem Vortrag

Johannes Grave bei der Diskussion seiner Evening Lecture

Vor Schillers Gartenhaus

In der Klassik Stiftung Weimar