Daniel Neumann und David Prinz , 17.04.2023

„Sich aufs Spiel setzen“ – Post-ironische Subjektivierungsweisen im Poststrukturalismus

Teil II

2. Michel Foucault: Von Wahrheitsspielen zur Praxis des Wahrsprechens

Michel Foucaults facettenreiches Werk lässt viel Interpretationsspielraum zu, insbesondere aufgrund seiner zahlreichen Interviews, in denen er seine Werkdeutung bereits zu Lebzeiten maßgeblich selbst mit formte. Foucault, der maskierte Philosoph [1] – so der Titel eines 1980 von Le Monde geführten Interviews, in dem Foucault seine Identität nicht preisgibt –, durchkreuzt seine Écriture de soi [2]  und seine „ethische Suche nach dem Sprechen“ [3], wie sie Philippe Artières bezeichnet hat, in seinem Werksverlauf immer wieder, indem er seine eigene Autorschaft unterminiert. 1968 betont er mit einem ironischen Unterton die vernichtende Wirkung, die seine eigenen Interviews haben können, da sie es vermögen, den epistemologischen Wahrheitsgehalt seiner theoretischen Arbeiten zu untergraben:

„Hat jemand [Foucault spricht hier von sich, DP] […] wirklich das Recht, so die Geschichte seines Schreibens zu erzählen, auf diese Weise die Wahrheit, nach der er strebt, in eine Reihe von Eindrücken, Erinnerungen, Erfahrungen einzubinden, die tiefgehend subjektiv sind? Mir ist klar, dass ich, wenn ich dies tue, die ganze Ernsthaftigkeit zunichte mache, mit der ich mich beim Schreiben wappne. Aber was soll’s, wenn ich mich auf das Vergnügen eines solchen Gespräches eingelassen habe, dann wohl gerade deswegen, um meine gewohnte Sprache zunichte machen, um zu verstehen, ihre Fäden zu entknoten, um sie so darzustellen, wie sie sich normalerweise nicht darstellt.“ [4]

Diese kurze Skizzierung lässt virulent erscheinen, wonach wir in Foucaults Werk suchen: [5] Subjektivierungsweisen, die sich aus der Wahrhaftigkeit eines Sprechaktes hervorbringen und zu verorten sind „zwischen dem Bewusstsein der Kontingenz der eigenen Theorien und andererseits der Notwendigkeit, diese ‚nach außen‘ strategisch mit einem scheinbar robusten ‚Realismus-Effekt‘ vorzutragen.“ [6] Wird im Weiteren von ‚Wahrheit‘ gesprochen, geschieht dies ausschließlich vor dem Hintergrund der Schriften Michel Foucaults. Der Wahrheitsbegriff von Foucault unterscheidet sich deutlich von anderen philosophischen Auseinandersetzungen; man denke z.B. hier an die Diskurstheorie von Jürgen Habermas und an das Wahrheitskriterium der Konsensfähigkeit. ‚Wahrheit‘ bei Foucault wird innerhalb spezifischer Macht-Wissen-Relationen produziert, weshalb sein Interesse stets um die „Techniken der Wahrheitsproduktion“ [7], aber auch um den „Kampf ‚um die Wahrheit‘“ [8] kreist. Foucaults Suchbewegung zielt „[…] nicht [auf, DP] die Entdeckung wahrer Sachverhalte, sondern [auf, DP] die Regeln, nach denen mit Bezug auf bestimmte Dinge das, was ein Subjekt sagen kann, der Frage des Wahren und des Falschen untersteht.“ [9] Damit verknüpft Foucault den Begriff der ‚Wahrheit‘ mit dem der ‚Wahrheitsspiele‘. [10] Wahrheitsspiele sind für Foucault ein elementarer Bestandsteil bei der Produktion von ‚Wahrheit‘. [11] Sie lassen die Bedingungen, Kriterien und Regeln erscheinen, zu welchem Zeitpunkt etwas als ‚wahr‘ gilt. Wahrheitsspiele offenbaren so, wie sich ‚Wahrheit‘ „historisch durchsetzt“ [12], aber auch „verdrängt“ [13] wird.

Gerade der letzte, oftmals ethisch genannte Teil des Gesamtwerks von Foucault zeichnet sich durch die Untersuchung von (Selbst-)Praktiken des Subjekts aus. [14] Nach der (vermeintlichen) Totsagung des Subjekts in Die Ordnung der Dinge (1966), die in die erste, archäologische Werkphase fällt, wird oftmals von einer ‚ethischen Wende‘ [15] gesprochen, die die Rückkehr des Subjekts einläute. Diese Rückkehr wird im Übergang von der zweiten, genealogischen zur dritten, ethischen Werkepisode verortet. [16] Philipp Sarasin lokalisiert und datiert diesen Umschwung in Foucaults Denken sogar sehr genau, wenn er sagt: „In Teheran hat Foucault das Subjekt entdeckt“ [17], als er als Reporter 1978 die iranische Revolution mitverfolgte. [18] Wolfgang Detel argumentiert in diesem Zusammenhang, dass Foucault in allen Werkperioden Subjektivierungsweisen beschreibe und analysiere. [19] Nach ihm ließe sich von drei Varianten von Praktiken sprechen, mittels derer Subjekte hervorgebracht werden und die jeweils einen Werkteil charakterisieren: Innerhalb der archäologischen Phase interessiert sich Foucault dafür, wie gesellschaftliche Wissens- und Wahrheitsordnungen, ergo geltende Aussagemuster und spezifische Diskursordnung, historisch entstanden sind und handlungsstrukturierend wirken, sodass das Subjekt „sich dabei reflexiv als ein sich selbst beobachtendes Wesen“ [20] erfährt (diskursive Praktiken). In der genealogischen Phase hingegen erfährt sich das Subjekt als eines, das spezifischer Strategien der Disziplinierung und Technologien der Macht entweder ausgesetzt ist oder aktiv dagegen ankämpft (Machtpraktiken). [21] Im Spätwerk, in dem sich Foucault zunächst mit Regierungspraktiken sowie Gouvernementalitätsstudien [22] und anschließend mit antiken Lebenskünsten und Selbsttechnologien (Ästhetik der Existenz) beschäftigt, konstituiert sich das Subjekt stetig und reflexiv im Sinne einer Selbstprüfung und -kritik (Selbstpraktiken). [23]

In dem hier kurz dargestellten Werkverlauf zeigt sich eine affirmative Veränderung des Wahrheitsbegriffes im Hinblick auf die stattfindenden Subjektivierungsprozesse, [24] die sich in Foucaults einleitenden Worten zur Vorlesung Der Mut zur Wahrheit (1984) wiederfinden lässt:

„Es ist wirklich ungemein interessant und wichtig, die eigentümlichen Strukturen der verschiedenen Diskurse, die als wahre Diskurse auftreten und auch so aufgenommen werden, im Hinblick auf ihre spezifischen Eigenschaften zu analysieren. Die Analyse dieser Strukturen könnte man allgemein als erkenntnistheoretische Analyse bezeichnen. Andererseits hatte ich aber den Eindruck, daß es auch interessant wäre, die Bedingungen und Formen des Handlungstyps zu untersuchen, durch den das Subjekt, das die Wahrheit sagt, sich manifestiert, was bedeuten soll: sich selbst als jemanden vorstellt und von den anderen als jemand erkannt wird, der die Wahrheit sagt. Es würde sich also keinesfalls um eine Untersuchung der Frage handeln, welche Diskursformen dafür verantwortlich sind, daß der Diskurs als wahr anerkannt wird. Die Frage lautet vielmehr: Auf welche Weise konstituiert sich das Individuum selbst in seinem Akt des Wahrsprechens, und wie wird es von den anderen als Subjekt konstituiert, das einen wahren Diskurs hält, auf welche Weise stellt sich derjenige, der die Wahrheit sagt, in seinen eigenen Augen und in den Augen der anderen die Form des Subjekts vor, das die Wahrheit sagt.“ [25]

Diese Passage zeigt eindrücklich, worum es Foucault am Ende seines Werkes geht. Foucault blickt darauf, wie sich das Subjekt selbst zu konstituieren versucht, sodass es „der Wahrheit fähig ist“ [26]. Er wendet sich Handlungstypen zu, den „Praktiken des Wahrsprechens über sich selbst“ [27] und somit der Subjektivierung durch das Aussprechen von Wahrheit, verstanden im Sinne der antiken Praxis der parrhesia. Das Verhältnis zwischen Subjekt und Wahrheit erscheint hier als ein neues im Vergleich zu den vorherigen Werkabschnitten. Die Wahrheit liegt nicht in der Obhut einer Diskurspolizei, der das Subjekt ausgeliefert ist, sondern sie kann sich nur im Akt des Wahrsprechens seitens des Subjekts selbst zeigen, wodurch die Wahrheit in einem grundlegenden Verhältnis zur Existenz und Lebensweise des Subjekts steht. Foucault hat die Praktik des Wahrsprechens stets mit dem Prinzip der epimeleia heautou, der Sorge um sich, zusammengedacht, innerhalb derer sich das Subjekt als ein ethisches selbst konstituiert. [28]

In den Vorlesungsmanuskripten spricht Foucault von ‚le dire-vrai‘: [29] dem Wahrsprechen. Er legt im Laufe der drei parrhesia-Vorlesungen, die er zwischen dem 5. Januar 1983 und 28. März 1984 hält, verschiedene Ausprägungen der parrhesia dar: [30] die politische (politische Kühnheit), die sokratische (sokratische Ironie) und die kynische (kynischer Skandal). [31] Das wahrsprechende Subjekt spielt mit offenen Karten, da „das eigene Leben exponiert“ [32] wird. Es „verbirgt nichts, sondern öffnet den anderen Menschen durch seine Rede vollständig sein Herz und seinen Sinn.“ [33] Die Wahrheit wird durch den Akt des Aussprechens unterzeichnet, in dem die wahrsprechende Person sich durch sie verpflichtet, sich mit seinem Leib und Leben dafür verbürgt und somit die eigene Existenz in Frage stellt. Die Person geht einen (parrhesiastischen) Pakt ein und nimmt die damit verbundenen Konsequenzen auf sich. [34]

Katharina Hoppe betont in ihrem Aufsatz Wahrheit leben. Zum affirmativen Wahrheitsbezug in Michel Foucaults letzter Vorlesung die affirmative Wirkung des Wahrsprechens in seiner ethischen Ausprägung, da Wahrheit nicht etwas sei, das aufgrund von Wahrheitskriterien existiere, sondern gelebt werden müsse. [35] Wahrheit, so Hoppe weiter, sei „nicht nur an Aussagen geknüpft, sondern auch an Alltagspraktiken, die Lebensform und das Selbstverhältnis.“ [36] Die kynische parrhesia ist die Manifestation der Wahrheit durch das Exponieren des Selbst. [37] Das Wahrsprechen, das sich im parrhesiastischen Spiel vollzieht, ist immer auf ein Gegenüber angewiesen. Nur im Anderen kann sich das Wahre zeigen. Foucaults letzte, lediglich zu Papier gebrachten Manuskriptworte, die er aufgrund seines frühzeitigen Aids-Todes am 25. Juni 1984 nicht vortragen konnte, lauten: „Aber was ich zum Abschluß hervorheben möchte, ist folgendes: Es gibt keine Einsetzung der Wahrheit ohne eine wesentliche Setzung der Andersheit; die Wahrheit ist nie dasselbe; Wahrheit kann es nur in Form des jenseits und des anderen Lebens geben.“ [38] Durch diese Setzung der Andersheit, wie Foucault es formuliert, hat die parrhesia eine unglaublich starke Kontingenzwirkung. Kontingenz insofern, als das, was ist, durch das Wahrsprechen herausgefordert wird, da sich ein Möglichkeitsraum auftut, der zeigt, wie das, was ist, anders zu sein scheint – ja, anders ist.

In diesem Zuge verstehen wir dieses sich durch die parrhesia konstituierende Subjekt als ein post-ironisches Subjekt. Zwar ist es das ironische Subjekt, das de-präzisiert und manipuliert, wodurch es ebenfalls Kontingenzen, Rauschen und Unschärfe einführt, [39] doch ist es das post-ironische, verstanden als ein wahrsprechendes Subjekt, das mit dieser Kontingenzöffnung und Ungewissheit umzugehen und diese auszuhalten weiß und dadurch zu mindern versucht: „Es geht nicht darum, andere zu beeinflussen, zu manipulieren, umzustimmen, zu überzeugen, zu erziehen, vielmehr stehe diese Praxis dafür, sich und seine Seinsweise im Wahrsprechen aufs Spiel zu setzen.“ [40] Das post-ironische Wahrsprechen ist somit ein Fixierungsversuch, ein Moment des Entscheidens und Festlegens, „ohne zu leugnen eine Wahl gehabt zu haben“ [41] und in vollem Wissen, dass auch das Scheitern möglich ist. Mit Rekurs auf Donna Haraways Verständnis von Ironie ist die Post-Ironie für Sebastian Plönges das „Angebot einer Möglichkeit des produktiven Umgangs mit Kontingenzen – in Anbetracht und Abgrenzung von der alltäglichen Feigheit des Taktierens im Medium der destruktiven Trivialironie.“ [42] Das post-ironische Subjekt übernimmt durch den Akt des Wahrsprechens Verantwortung und konstituiert sich somit nicht nur als ein ethisches, sondern zugleich auch als ein kritik- und freiheitsfähiges Subjekt. Durch das Exponieren des Selbst geht das Subjekt das Risiko der (Selbst-)Verletzung ein, da es sich als ein vulnerables offenbart. [43]

3. Jacques Derrida: ‚Ich trauere, also bin ich‘ – das Subjekt nach seiner Dekonstruktion

Wir kommen nun zu einer kleinen Lektüre von Jacques Derridas Ununterbrochenem Dialog, von dem wir meinen, dass Derrida hier eine Subjektivierungsweise in Anschlag bringt, die sich in seinem Spätwerk explizit von seinen früheren Reflexionen zur Subjektivität unterscheidet, denn auch hier findet Kontingenzminderung statt. Die Wette ist folgende: Wenn wir zeigen können, dass sich auch der Gründungsvater der Dekonstruktion in den frühen 00er Jahren einer Subjektivierungsweise verschreibt, die sich auf dem Affekt der Trauer und der Verletzlichkeit des Seins gründet, dann hat in der Dekonstruktion selbst ein Wandel stattgefunden, der sich an den post-ironischen Diskus anlehnt. [44]

Bei dem Text Der Ununterbrochene Dialog handelt es sich um Derridas letzte Abschiedsrede vor seinem eigenen Tod – gehalten am 5. Februar 2003 in Heidelberg anlässlich des Todes von Hans-Georg Gadamer. Die Rede ist wohl die letzte große Auseinandersetzung der beiden Philosophen über hermeneutisches und dekonstruktives Verstehen seit ihrer ersten sehr angespannten Begegnung in Paris im Jahr 1981. [45] Bei vielen anderen DenkerInnen könnte man die Grabrede als randständig zum eigentlichen Werk begreifen, bei Derrida allerdings zieht sich der Fluchtpunkt dieser Rede – die Trauer, die Melancholie und die Verantwortung gegenüber dem Anderen – leitmotivisch durch das ganze Werk; er ist wesentlicher Teil seines Schaffens: Nicht nur verfasst Derrida eine ganze Reihe an Grabreden für FreundInnen wie Emmanuel Lévinas, Roland Barthes, Sarah Kofman und viele andere, die schließlich sogar in einem amerikanischen Sammelband seiner Gedenkreden festgehalten sind (Jacques Derrida: The Work of Mourning). [46] Der Konnex Trauer, Melancholie, Verantwortung und Erinnerung hinterlässt Spuren im gesamten Werk: „seine[] eigenwillige[] ‚Totenglocke‘ (franz. glas) für Hegel und die Tradition der Metaphysik, Glas (1974), über Fors (1976), Mémoirs. Pour Paul de Man (1988) und Spectre de Marx (1993) bis zu seinem zum Teil noch unveröffentlichten Politiques de l’amitié-Vorlesungszyklus“ [47] kreisen um diese Verbindung. Emmanuel Lévinas, dem Philosophen und Freund Derridas, ähnlich, mit dessen „Ethik des Anderen“ Derrida sich zeitlebens auseinandersetzte, geht es Derrida um eine Anerkennung des Fremden, des Nächsten, des Bruders/der Schwester in der Differenz zum Selbst. Entgegen der abendländischen Ontologie, die, so der Vorwurf von Lévinas und Derrida, die Andersheit des Gegenübers stets auf die Selbigkeit eines monadisch-isolierten Ich reduziere, möchte Derrida dem Anderen bedingungslose Gastfreundschaft erweisen, und zwar dadurch, dass seine Alterität in Form seines Zeugnisses gewahrt und keiner schon konstituierten Identität untergeordnet oder subsumiert wird. Als eine Form dieser Wahrung der Alterität des Anderen – und „gleichzeitig als eine Form der Dekonstruktion oder Dissoziation des Subjekts“ [48] – konzipiert Derrida die Trauer. [49]

Die Wahrung der Alterität des Anderen: Dieses Leitmotiv wird bemerkenswerterweise schon im ersten Satz des Textes virulent: „Kann ich hier vor Ihnen meine Bewunderung für Hans-Georg Gadamer überhaupt angemessen und wahrheitsgetreu wiedergeben?“ [50] oder franz.: « Saurai-je témoigner, de façon juste et fidèle, de mon admiration pour Hans-Georg Gadamer? » Beide Begriffe, das Bezeugen (témoigner) und das Treusein (être fidèle), stehen schon im Zeichen der verantwortungsvollen Tradierung des Zeugnisses bei gleichzeitiger Wahrung der Alterität des Anderen. Schon der erste Paragraph verbindet den Akt der Zeugenschaft mit einer weiteren Grundthematik des Textes: der Melancholie im Sinne einer unabgeschlossenen Trauer. Diese wiederum, wie der Text sogleich andeutet, steht im Schatten des Holocaust; sie stehe im Umkreis „jener Erschütterungen, die meine Generation mehr aus ihren Wirkungen denn aus ihren Ursachen, verspätet, indirekt und vermittelt wahrgenommen hat“ [51] und deren „großer Zeuge“ [52] (témoin) Gadamer sei.

Ein weiterer Zeuge wird aufgerufen: Paul Celan, der Dichter, der die immense Problematik der Zeugenschaft nach Auschwitz in den Versen festhält, die auch Derrida nicht zu erwähnen versäumt: „Niemand / zeugt für den / Zeugen“. [53] Der Dialog mit Gadamer findet also durch Celans Dichtung hindurch statt und adressiert nicht nur Gadamer und den verstorbenen Freund Celan, sondern Derridas Melancholie gilt allen Vertretern des Volkes Israel, welche wie der Czernowitzer Jude Celan und seine Familie Opfer des faschistischen Massenmordes an den europäischen Juden geworden waren – das Opfer der Jüdinnen und Juden wird im folgenden Abschnitt thematisch. Derrida ruft dazu den Widder aus Celans Gedicht Große, glühende Wölbung aus dem Gedichtzyklus Atemwende auf. Derrida zitiert: „Wo-/gegen/ rennt er [der Widder, DN] nicht an?“ [54] und erläutert: „Man stellt sich den Zorn jenes Widders vor, des Widders Abrahams und Aarons, die unendliche Auflehnung des Widders aller Brandopfer“. [55] Im Kontext der im Ununterbrochenen Dialog beschworenen Melancholie wird Celans Vers zu einer unendlichen Auflehnung der Brandopfer (aus griech. holokaustos, ‚vollständig verbrannt‘) gegen ein Vergessen, welches das erlittene Unrecht der Vergangenheit überantworten würde. [56] Der Vers wird zum Plädoyer für eine Notwendigkeit der Trauer, das sich im letzten Vers von Große, glühende Wölbung zum Imperativ wandelt: „Die Welt ist fort, ich muß dich tragen.“ [57] Während die Pronomina „ich“ und „du“ lautlich fast verlöschen, erhalten metrisch die Verben „muß“ und die erste Silbe von „tragen“ ein Gewicht, wobei ‚Ich‘ und ‚Du‘ in lautlicher Nähe miteinander verbunden sind – dies legt die Assonanz ‚mich‘/‘dich‘ nahe. Es ist daher richtig, wenn Nicole A. Sütterlin festhält, dass es weniger wichtig scheine, wer hier wen trägt, sondern vielmehr, dass der eine den anderen trage, ja tragen müsse. [58] Die Verpflichtung stecke sogar in doppelter Weise im Prädikat, nämlich nicht nur im Modalverb, sondern auch im Verb ‚tragen‘, in seiner etymologischen Verwandtschaft zum „Auftrag“ oder gar „Austrag“, ein Wort Heideggers, wie Derrida kenntlich macht. [59]

In seiner Umkreisung der Celanschen Formel „Ich muß dich tragen“ kommt Derrida auf Sigmund Freuds Trauer und Melancholie zu sprechen. Dort unterscheidet Freud bekanntlich zwischen Trauer und Melancholie, wobei er Trauer als gelungene Verarbeitung, „die das verlorene Liebesobjekt der eigenen psychischen Ökonomie assimiliert (Introjektion), von der Melancholie als Scheitern der Verarbeitung des Verlusts“ [60] abhebt. Schon bei Freud werden die beiden Verarbeitungsformen von Verlust durchlässig, bei Derrida sodann aber konsequent unterlaufen: [61]

„Nach Freud besteht die Trauer darin, den anderen in sich zu tragen. Es gibt keine Welt mehr, es ist das Weltende für den anderen bei seinem Tode, und ich nehme dieses Ende der Welt in mich auf, ich muß den anderen und seine Welt, die Welt in mir tragen: Introjektion, Verinnerlichung der Erinnerung, Idealisierung. Die Melancholie würde das Scheitern und die Pathologie dieser Trauer aufnehmen. Doch wenn ich den anderen in mir tragen muß (darin besteht Ethik), um ihm treu zu sein, um seine einzigartige Alterität zu respektieren, dann muß sich noch eine gewisse Melancholie gegen die übliche Trauer auflehnen. Sie darf sich niemals mit der idealisierenden Introjektion abfinden.“ [62]

Für Derrida muss die Trauerarbeit also unabgeschlossen bleiben, sie muss melancholisch scheitern, um den Anderen nicht vollständig der ‚idealisierenden‘ eigenen Erinnerung zu introjizieren; der Andere darf nicht dem Selbigen angeeignet werden. [63] Dieses Plädoyer der Wahrung des Anderen in der Melancholie ist bei Derrida mit einer Verkomplizierung des Subjektbegriffs verbunden: Wo nämlich die Integrität des Anderen gewahrt oder unangetastet bleiben muss, da werde die Integrität des Selbst verunsichert. [64] Der Imperativ „Ich muß dich tragen“ meint hier also nicht nur die melancholische Bewahrung des Du, sondern wirkt auf die Konstitution des Ich zurück. Mit Derrida:

„Und ich bin nur, kann nur, darf nur sein, ausgehend von dieser seltsamen, aus den Fugen geratenen Tragweite des unendlich anderen in mir. Ich muß den anderen tragen und dich tragen, der andere muß mich tragen.“ [65]

Die Idee des autonomen geschlossenen Subjekts ist bekanntlich eine der Wahrheiten oder – mit Lyotards Begriff – eine der zentralen grand récit der abendländischen Tradition, die Derrida durch den Ausspruch „ich trauere, also bin ich“ subvertiert. Was Derrida hier in Stellung bringt, siedelt sich also eindeutig nach der poststrukturalistischen Dezentrierung des Subjekts an und straft die gängige Rede vom ‚Tod des Subjekts‘ Lügen. Die Dezentrierung des Subjekts meint nicht das Ende der Subjektivität, sondern ein Umdenken derselben: „Das poststrukturalistische Subjekt ist ein ‚plurales‘ (Barthes), ‚prozessuales‘ (Kristeva), ‚gespaltenes‘ (Lévinas)“ [66] – und bei Derrida in diesem späten Text schließlich ein ‚trauerndes‘.

Hierin, so Derrida, gründe die Möglichkeit eines „Subjektbegriff[s] ‚nach der Dekonstruktion‘“ [67] und hierin findet das Subjekt eine Referenz, die trotz der „Kontingenz des Vokabulars“ (Rorty), der „Krise der Repräsentation“ (Foucault), einer „Inkommensurabilität der Sprachspiele“ (Lyotard) eine melancholische Subjektivierung erlaubt, indem das Subjekt nach der Dekonstruktion den Anderen stets in sich trägt, das Subjekt ankert und sich über diese Öffnung – über diese Vulnerabilität – gegenüber dem ihm Äußerlichen konstituiert. Natürlich handelt es sich hier auch um Derridas ganz persönliche Geschichte: Als algerisch-französischer Jude sind seine Texte in einem transgenerational-traumatischen Kontext angesiedelt. Derrida hat aber auf theoretischer Ebene, insbesondere in seinen Hegel-Lektüren, Subjektivität ohne feste Bezugsgröße, ohne Anker, sondern lediglich als Text-Effekt bestimmt, wie Rudolph Gaschés in The Tain oft the Mirror prominent aufschlüsselt. Hier wird die Melancholie, die unabgeschlossene Trauer, das Einlassen des Anderen in das Selbst, die Dissoziation des Subjekts, ein ethisches ‚Aufs-Spiel-Setzen‘ der eigenen Subjektivität, zu einer bis dahin nicht erwogenen Bezugsgröße einer Subjektivierungsweise, die den frei flottierenden Signifikanten durch ‚den Anderen in mir‘ ersetzt. Erneut verstehen wir dies als eine Kontingenzverminderung durch eine Quasi-Referenz, die eine Authentizität wieder als Möglichkeit ausweist und damit einen Platz in unserer postironischen Matrix beanspruchen kann.

4. Ausblick: Post-ironische Subjektivierungsweisen im Poststrukturalismus

An Foucault angelehnt, der den Körper unmittelbar im Feld des Politischen verortet, entwickelt Judith Butler unter Berücksichtigung der seit den 1970ern und 80ern etablierten feministischen body politics ihre Theorie der ontologischen Verwundbarkeit und strukturellen Verwundbarmachung. [68] Als Subjektivierungsweise, die den ontologischen Stellenwert des Körpers fokussiert, stellt sie zum einen die affektive Abhängigkeit aller Körper in den Vordergrund, zum anderen aber auch die politische Verwerfung, die sie mit der ethischen Kernfrage „Welche Leben werden betrauert“ [69] verbindet. [70] Auch in den seit den 1990ern aufkommenden Trauma Studies, die sich im ehemaligen Zentrum der US-amerikanischen Dekonstruktion in Yale bilden, suchen der Yale Critic Geoffrey Hartman, der Professor für Psychiatrie Dori Laub und die Yale-Absolventinnen Cathy Caruth sowie – prominenter in der feministischen Theoriebildung – Shoshana Felman nach Wahrhaftigkeit und Quasi-Authentizität. An der Schnittstelle von medizinischer Trauma-Forschung und der sich damals etablierenden Diagnose der Posttraumatischen Belastungsstörung, durch Psychoanalyse und Dekonstruktion, finden sie ein Versprechen einer sich ankündigenden Referenz auf Wirklichkeit. Ausgehend von der Struktur der Posttraumatischen Belastungsstörung, der Beobachtung, dass eine traumatische Erinnerung nicht vollständig wiederhergestellt werden kann, aber doch Symptome wie intrusives Wiedererleben, Vermeidung und Übererregung auftreten, binden sie die Literatur und das Subjekt nach seiner Dekonstruktion hieran zurück. Sie entdecken die Möglichkeit einer verstellten, uneinholbaren Referenz auf Wirklichkeit und entwerfen eine Subjektivierungsweise, die das Trauma als Motor derselben ausweist – was zu einem fruchtbaren Forschungsparadigma, aber auch zu heftiger Kritik geführt hat.

Unsere Ausführungen zum post-ironischen Wahrsprechen und der post-ironischen Subjektivierung durch melancholische Trauer korrespondieren mit der sog. ethischen Wende in der poststrukturalistischen Theoriegeschichte. Die Besonderheit der von uns ausgewählten Beispiele besteht in einer Suchbewegung nach Wahrhaftigkeit und Authentizität, jedoch ohne zu einer modernen Eigentlichkeit zurückzukehren. Wie eingangs dargelegt, wird der ironischen Kontingenzöffnung ein Prozess der post-ironischen Kontingenzverminderung entgegengesetzt. Diese Strategie der Kontingenzverminderung haben wir durch unterschiedliche Subjektivierungsweisen in den Werken von Foucault und Derrida parallelisiert. Diese Subjektivierungsweisen vollziehen sich über Motive der Verletzlichkeit, Aufrichtigkeit, des Offenlegens der eigenen Wunde und dadurch, sich mit seinem Leben zu verbürgen. Das Selbst setzt sich aufs Spiel und gewinnt dadurch gegenüber der „Kontingenz des Vokabulars“, der „Krise der Repräsentation“ oder „Inkommensurabilität der Sprachspiele“ eine vorläufige Referenz auf Wahrhaftigkeit.

 

Anmerkungen

[1] Daniel Defert/François Ewald: Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits: Band IV. 1980–1988, Frankfurt am Main 2005, S. 128ff.

[2] Ebd., S. 503ff.

[3] Michel Foucault/Philippe Artières: Das giftige Herz der Dinge: Gespräch mit Claude Bonnefoy, Zürich 2012, S. 7.

[4] Ebd., S. 53f.

[5] Die Rezeption spricht von drei zu unterscheidenden Werksphasen: Die archäologische Phase (Wissen), die genealogische Phase (Macht) und die ethische Phase (Subjekt) (vgl. Andreas Reckwitz: Die Transformation der Kulturtheorien. Zur Entwicklung eines Theorieprogramms, Weilerswist 2000, S. 293).

[6] Andreas Reckwitz: „Die Krise der Repräsentation und reflexives Kontingenzbewusstsein. Zu den Konsequenzen der post-empiristischen Wissenschaftstheorien für die Identität der Sozialwissenschaften“, in: Die Ironie der Politik. Zur Konstruktion politischer Wirklichkeiten, hg. von Thorsten Bonacker/André Brodocz/Thomas Noetzel, Frankfurt am Main [u. a.] 2003, S. 85–103, hier S. 101.

[7] Michel Foucault: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1, Frankfurt am Main 1983, S. 62. 

[8] Michel Foucault: „Wahrheit und Macht“, in: Dispositive der Macht. Michel Foucault über Sexualität, Wissen und Wahrheit, hg. von Michel Foucault, Berlin 1978, S. 21–54, hier S. 53.

[9] Maurice Florence: „Foucault“, in: Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits: Band IV. 1980–1988, hg. von Daniel Defert/François Ewald, Frankfurt am Main 2005, S. 776–781, hier S. 777f.

[10] Vgl. Michel Foucault: Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit 2, Frankfurt am Main 1989, S. 13.

[11] Vgl. Ulrich Johannes Schneider: „Foucaults Analyse der Wahrheitsproduktion“, in: Französische Nachkriegsphilosophie. Autoren und Positionen, hg. von Günter Abel, Berlin 2014, S. 299–313.

[12] Vgl. ebd., S. 304.

[13] Ebd.

[14] Vgl. Hilmar Schäfer: Die Instabilität der Praxis, Münster 2013, S. 60.

[15] Vgl. Petra Gehring: „Der Gebrauch der Lüste/Die Sorge um Sich. Sexualität und Wahrheit 2/3“, in: Foucault-Handbuch: Leben — Werk — Wirkung, hg. von Clemens Kammler/Rolf Parr/Ulrich Johannes Schneider, Stuttgart 2014, S. 93–102, hier S. 100f.; Hans-Herbert Kögler: Michel Foucault, Stuttgart 2004, S. 136.

[16] Ob und inwiefern hier von einer Rückkehr des Subjekts gesprochen werden kann, die sich im Übergang zum Spätwerk vollzieht, wird immer wieder diskutiert und ist abhängig von der Frage, für wie sozialphilosophisch radikal man diese ‚Neuorientierung‘ im Werkverlauf einordnet (vgl. Wolfgang Detel: „Schriften zur Ethik“, in: Foucault-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, hg. von Clemens Kammler/Rolf Parr/Ulrich Johannes Schneider, Stuttgart 2020, S. 131–140, hier S. 129; Schäfer: Die Instabilität der Praxis, S. 158). Neben ‚ethischer Wende‘ wird sie auch als ‚subjekttheoretische Wende‘ bezeichnet (vgl. Hinrich Fink-Eitel: „Zwischen Nietzsche und Heidegger: Michel Foucaults ‚Sexualität und Wahrheit‘ im Spiegel neuerer Sekundärliteratur“, in: Philosophisches Jahrbuch 97 (1990), S. 367–390, hier S. 375; Marita Rainsborough: Foucault heute: Neue Perspektiven in Philosophie und Kulturwissenschaft, Bielefeld 2018, S. 13). Der Dissens in der Rezeption besteht hinsichtlich der Frage, ob das Spätwerk nun eine umfassende Neujustierung und Hinwendung zum Subjekt darstellt oder nicht. Moderatere Bezeichnungen für dieses ‚Wende‘ sind bspw. „theoretische Modifikation“ (Detel: Schriften zur Ethik, S. 134) oder „theoretische Verschiebung“ (Philipp Sarasin: Michel Foucault zur Einführung, Hamburg 2010, S. 194).

[17] Sarasin: Michel Foucault, S. 194.

[18] Vgl. Philipp Sarasin: „Zeitenwende. Michel Foucault und die iranische Revolution“, in: Geschichte der Gegenwart, 13. Februar 2019, URL: geschichtedergegenwart.ch/-zeitenwende-michel-foucault-und-die-iranische-revolution/, abgerufen am 05.04.2023.

[19] Vgl. Detel: Schriften zur Ethik, S. 135.

[20] Ebd.

[21] Ebd.

[22] Siehe hierzu: Thomas Lemke: Eine Kritik der politischen Vernunft: Foucaults Analyse der modernen Gouvernementalität: Foucaults Analyse der modernen Gouvernementalität, Berlin [u. a.] 2010.

[23] Ebd.

[24] In Die Ordnung des Diskurses, seiner Inauguralvorlesung am Collège de France vom 2. Dezember 1970, unterstreicht Foucault deutlich die subjektivierende Macht des Diskurses: „Es ist immer möglich, daß man im Raum eines wilden Außen die Wahrheit sagt; aber im Wahren ist man nur, wenn man den Regeln einer diskursiven ›Polizei‹ gehorcht […]“ (Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt am Main 1991, S. 25). Das Subjekt unterliegt hier beim Aussprechen der Wahrheit eindeutig der diskursiven Ordnung, also den gesellschaftlichen Formationsregeln und Aussagecodes, und damit, wie Foucault es repressiver nicht ausdrücken könnte, dem Gehorsam einer diskursiven Polizei. Diese Vorstellung hat Foucault mit der Verschiebung des Fokus auf die Selbstpraktiken vorläufig beiseitegelegt und produktiv gewendet. 

[25] Michel Foucault: Der Mut zur Wahrheit: Die Regierung des Selbst und der anderen II. Vorlesungen am Collège de France 1983/84, Berlin 2011, S. 15.

[26] Schäfer: Die Instabilität der Praxis, S. 171.

[27] Foucault: Der Mut zur Wahrheit, S. 16.

[28] Vgl. Gerald Posselt: „Die Sorge um sich und die anderen: Selbstsorge und Wahrsprechen als ethisch-politische Praxis“, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 70 (2022), S. 116–138.

[29] Etymologisch bedeutet parrhesia „Alles-sagen“, „Wahrsprechen“, „Freimütigkeit“ oder: „Mut zur Wahrheit“.

[30] Dazu zählen Die Regierung des Selbst und der anderen (1982/1983) [Im frz. Original: Le Gouvernement de soi et des autres] und Die Regierung des Selbst und der anderen II. Der Mut zur Wahrheit (1983/1984) [Im frz. Original: Le Gouvernement de soi et des autres: le courage de la vérité], die er beide am Collège de France gehalten hat, sowie die zeitlich dazwischen gehaltene Berkeley-Vorlesung Diskurs und Wahrheit. Die Problematisierung der Parrhesia (1983). 

[31] Vgl. Foucault: Der Mut zur Wahrheit, S. 303ff.

[32] Ebd., S. 305.

[33] Michel Foucault: Diskurs und Wahrheit: Die Problematisierung der Parrhesia. Berkeley-Vorlesungen 1983, Berlin 2008, S. 10. Diese Aussage Foucaults ist mit einer Anmerkung versehen, dass die Frau in der antiken griechischen Gesellschaft vom Gebrauch der parrhesia ausgeschlossen war. Foucault erläutert dies im Zusammenhang auf eine Frage aus der zuhörenden Studierendenschaft.

[34] Foucault: Der Mut zur Wahrheit, S. 229.

[35] Vgl. Katharina Hoppe: „Wahrheit leben. Zum affirmativen Wahrheitsbezug in Michel Foucaults letzter Vorlesung“, in: Fragmente eines Willens zum Wissen: Michel Foucaults Vorlesungen 1970–1984, hg. von Frieder Vogelmann, Berlin [u. a.] 2020, S. 225–237, hier S. 228f.

[36] Ebd., S. 229.

[37] Vgl. Foucault: Der Mut zur Wahrheit, S. 241.

[38] Ebd., S. 460.

[39] Sebastian Plönges: „Postironie als Entfaltung“, in: Medien & Bildung: Institutionelle Kontexte und kultureller Wandel, hg. von Torsten Meyer/Wey-Han Tan/Christina Schwalbe/Ralf Appelt, Wiesbaden 2011, S. 438–446, hier S. 444.

[40] Katharina Hoppe: „Wahrsprechen und Bezeugen“, in: Foucault und das Politische: Transdisziplinäre Impulse für die politische Theorie der Gegenwart, hg. von Oliver Marchart/Renate Martinsen, Wiesbaden 2019, S. 161–183, hier S. 168f.

[41] Plönges: Postironie als Entfaltung, S. 444.

[42] Ebd., S. 443; vgl. Donna Haraway: „Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften (1985)“, in: Reader Neue Medien, hg. von Karin Bruns/Ramón Reichert, Bielefeld 2015, S. 238–277.

[43] In seiner Vortragsfassung enthielt dieser Abschnitt eine umfassende Darstellung des literarischen Genres der Autosoziobiographie (vgl. Eva Blome/Philipp Lammers/Sarah Seidel: Autosoziobiographie: Poetik und Politik, Stuttgart 2022). Dabei haben wir die These vorgetragen, dass autosoziobiographische Schreibweisen – für die Annie Ernaux 2022 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde – nach dem Prinzip der parrhesia (im Anschluss an Foucault) funktionieren. Die AutorInnen verbürgen sich mit ihren Schriften, in dem sie ihr eigenes Leben und das ihrer Herkunftsklasse exponieren. Die autosoziobiographische Écriture avancierte seit der Veröffentlichung der deutschen Übersetzung von Didier Eribons Rückkehr nach Reims (2016) zu einer breiten Literaturbewegung, die wir als eine post-ironischen Écriture lesen würden.

[44] Gemeinhin lässt sich eine Tendenz im Werk Derridas feststellen, der zufolge er sich seit dem Ende der 1980er Jahre verstärkt explizit ethischen Themen zuwendet. Hans-Dieter Gondek und Bernhard Waldenfels sprechen aufgrund von Derridas Hinwendung zum ‚Unde-konstruierbaren‘ von einer ‚ethischen‘ oder ‚performativen Wende‘ (siehe: Hans-Dieter Gondek/Bernhard Waldenfels: „Derridas performative Wende“, in: Einsätze des Denkens. Zur Philosophie Jacques Derridas, hg. von Hans-Dieter Gondek/Bernhard Waldenfels, Frankfurt am Main 1997). Unterstellt wird, dass Derrida sich von der Kritik der Metaphysik ab- und einer nachmetaphysischen Ethik zugewandt habe. Ob man hier zustimmt oder eher die Kontinuität zu den früheren Schriften betont, hängt weitestgehend davon ab, so Susanne Lüdemann (vgl. Susanne Lüdemann:  Jacques Derrida zur Einführung, Hamburg 2011, S. 108), wie man Derridas Verhältnis zu Emmanuel Levinas und dessen Ethik des Anderen beurteilt. Im Folgende lesen wir Derrida mit Levinas, dessen Ethik für Derrida zeitlebens wichtig ist.

[45] Vgl. Nicole A. Sütterlin: Poetik der Wunde. Zur Entdeckung des Traumas in der Literatur der Romantik, Göttingen 2019, S. 63.

[46] Vgl. Jacques Derrida: The Work of Mourning, Chicago 2017.

[47] Sütterlin: Poetik der Wunde, S. 92.

[48] Ebd.

[49] Vgl. ebd. Die nachfolgende Analyse beruht im Ganzen auf Nicole A. Sütterlins Ausfüh-rungen zum Konnex von Trauma, Dekonstruktion und Romantik, die sie in ihrer bereits mehrfach zitierten ausgezeichneten Monographie Poetik der Wunde darlegt.

[50] Jacques Derrida/Hans-Georg Gadamer: Der ununterbrochene Dialog, Frankfurt am Main 2004, S. 7. Wir geben hier das französische Original und die Übersetzung wieder, weil das Deutsche, wie Nicole A. Sütterlin bereits bemerkt, das Schlüsselwort ‚bezeugen‘ hier nicht erfasst.

[51] Ebd., S. 7.

[52] Ebd. 

[53] Paul Celan: „Große, glühende Wölbung“, in: Paul Celan. Gesammelte Werke in 5 Bänden, Bd. 2, hg. von Beda Allemann/Stefan Reichert, Frankfurt am Main 1983, S. 72.

[54] Ebd., S. 72

[55] Derrida/Gadamer: Der ununterbrochene Dialog, S. 41.

[56] Vgl. Sütterlin: Poetik der Wunde, S. 94.

[57] Celan: Große, glühende Wölbung, S. 72.

[58] Vgl. Sütterlin: Poetik der Wunde, S. 94f.

[59] Für eine genauere Lektüre, siehe ebd., S. 94f.

[60] Ebd., S. 95.

[61] Viel genauer ebd., S. 95.

[62] Derrida/Gadamer: Der ununterbrochene Dialog, S. 46 [Herv. DN].

[63] Vgl. Sütterlin: Poetik der Wunde, S. 95.

[64] Vgl. ebd., S. 98.

[65] Derrida/Gadamer: Der ununterbrochene Dialog, S. 48.

[66] Sütterlin: Poetik der Wunde, S. 99.

[67] Jacques Derrida: „Istrice. Ick bünn all hier“, in: ders.: Auslassungspunkte. Gespräche, hg. von Peter Engelmann, Wien 1998, S. 305–330, hier S. 324.

[68] Zum Begriff „struktuelle Verwundbarmachung“ siehe: Jule Govrin: Politische Körper. Von Sorge und Solidarität, Berlin 2022.

[69] Govrin: Politische Körper, S. 75.

[70] Vgl. Judith Butler: Gefährdetes Leben: Politische Essays, Frankfurt am Main 2005.

 

Der Beitrag ist unter dem folgenden Link dauerhaft abrufbar: https://doi.org/10.22032/dbt.59027

Der französische Philosoph Jacques Derrida

Jacques Derrida und Hans-Georg Gadamer: „Der ununterbrochene Dialog“, Suhrkamp 2004.