Sigmund Jakob-Michael Stephan , 24.08.2023

Warum verkörpert Zerbino das Romantisch-Komische?

Und was ist das Romantisch-Komische?

„Zerbino. Geschmack! Geschmack! Wohin hast du dich verborgen, daß du mir auf allen Wegen entfliehst? (. . .) – Nun will ich mir auch plötzlich ebene Bahn machen, daß die Welt sich verwundern soll. Durchdringen will ich durch alle Scenen dieses Stücks, sie sollen brechen und zerreißen, so daß ich entweder in diesem gegenwärtigen Schauspiele den guten Geschmack antreffe, oder wenigstens mich und das ganze Schauspiel so vernichte, daß auch nicht eine Scene übrig bleibt. (. . .)

Nestor: Was wollen Sie beginnen?

Zerbino: Ein unerhörtes Werk.

Nestor: Und was soll daraus werden?

Zerbino: Ein Ding ohne Nahmen“ [1]

Der selbstzerstörerische Plan des Protagonisten aus Ludwig Tiecks Komödie Prinz Zerbino oder die Reise nach dem guten Geschmack (1799) mutet paradoxal an: Die Theaterfigur will das Stück vernichten, an dessen Aufführung sie gerade beteiligt ist. Ihrer Verzweiflung geht eine mühsame und dennoch vergebliche Suche nach der Poesie voraus. Aus diesem Grund sieht der Prinz nur noch den Ausweg, die bisherige Handlung des Zerbinos Szene für Szene zurückzugehen, bis er entweder den Geschmack gefunden oder sich und seine Welt ausgelöscht hat.

Zerbinos Plan parodiert die kommunikationslogischen Voraussetzungen des mimetischen Illusionstheaters des 18. Jahrhunderts: Nach diesen konstituiert das Spiel auf der Bühne eine eigenständige und abgeschlossene Wirklichkeit, die diejenige der Zuschauer:in nachahmt. Dementsprechend könnte das Publikum zum Beispiel erwarten, dass Zerbino in seiner Verzweiflung darüber nachdenkt, sich das Leben zu nehmen, wie es ein gewöhnlicher Tragödienheld machen würde. Seine Reflexion zeigt jedoch, dass Zerbino sich darüber im Klaren ist, dass er kein Mensch, sondern eine fiktive Figur ist. Seine Enttäuschung über die Komödie führt ihn zu einem unmöglichen Entschluss: Denn der Versuch, die Handlung des Stückes gewissermaßen zurückzuspulen, setzt diese ungemindert fort. Am Ende scheitert Zerbinos Plan endgültig, da die Figuren des Verfassers, Lesers, Setzers und Kritikers ihn mit Gewalt davon abhalten, ein Vorhaben zu realisieren, das auch ihre Existenz bedroht [2]. Die skeptische Reaktion seines Reisebegleiters Nestor auf seinen Rückspulversuch beschreibt treffend, wie es um ihn bestellt ist. Es ist ein unerhörtes Werk. Ob man Zerbino lustig, tragisch oder gar cringe findet, sei dahingestellt, doch irgendwie ist der Prinz komisch.

Tieck hat mit seinen frühen, beinahe post-dramatischen Komödien (Gestiefelter Kater, Verkehrte Welt und Zerbino) das Bild einer innovativen Romantik geprägt, die die Ästhetik der Avantgarde und Post-Moderne vorwegnimmt. Erstellt die Forschung Romantikmodelle anhand von Tiecks Komödien, führt sie eine Tradition fort, die sich bereits in der Post-Romantik nachvollziehen lässt. In kritischer Auseinandersetzung mit ihnen grenzen sich Heinrich Heine und Sören Kierkegaard von der Frühromantik ab. Für die beiden romantikaffinen Romantikkritiker sind Tiecks Komödien der Inbegriff einer sinnentleerten, um sich selbst kreisenden Literatur [3], oder modern gesprochen: einer Literatur ohne transzendentales Signifikat. Heines und Kierkegaards Kritik deutet auf den Grund hin, weshalb Tiecks Komödien attraktiv für die post-moderne Leser:in sind. Bei der bisherigen Suche nach dem Romantischen in Tiecks Komödien blieb jedoch die Frage danach, ob und inwieweit sie komisch seien, unterbeleuchtet. Um zu erörtern, worin Zerbinos Komik besteht, lohnt es sich, die Romantikmodelle, die von Tiecks Komödien ausgehen, einem komiksensiblen Blick zu unterziehen.

Einen bedeutenden Punkt dieser Forschungstradition bildet Peter Szondis Ironie-Aufsatz aus den 1950ern. Anhand der Komik von Tiecks fiktionsbewussten Komödienfiguren modelliert er die romantische Ironie: Sie drücke sich darin aus, dass die Figuren erfolglos versuchten, eine „Verbindung des In-der-Welt-Seins mit dem Über-der-Welt-Stehen“ [4] herzustellen. Es ist wichtig zu beachten, dass im Fall von Figuren wie Zerbino keine reale oder fiktive Schauspieler:in aus ihrer Rolle fällt, sondern diese sprechen als verselbständigende Fiktionen zum Publikum [5]. Folgt man Szondis Darstellung, gehört die romantische Ironiker:in wie eine fiktionsbewusste dramatis persona einer Welt an, der sie zwar durch ihr Reflexionsniveau enthoben ist, über die sie aber nicht hinausgehen kann. Nach dieser Leseart kann Zerbinos unmöglicher Plan modellhaft für eine sehnsüchtig-ironische Haltung stehen, die vergeblich nach Transzendenz strebt.

Uwe Japp kommt dem Komischen näher, wenn er Tiecks Komödien als Modell für den parabatischen Komödientypus der Romantik auffasst. Seine Beschreibung der Parabasis orientiert sich an Friedrich Schlegels frühem Aufsatz „Vom ästhetischen Wert der griechischen Komödie“ (1794). Dort verteidigt Schlegel die Parabasis, in der Aristophanes die vierte Wand ignoriert, indem er sich direkt an das Publikum wendet, als zentralen Moment der Komödie. Die Pointe dabei ist, dass die Autor:in durch das Durchbrechen der vierten Wand „ihr eigen Werk [. . . ] verletzt [. . . ], um zu reizen, ohne zu zerstören [Hervorhebung JS]“ [6]. Der temporäre Illusionsbruch, den die Parabasis bewirkt, mündet nicht in einer völligen Aufhebung des illusionierenden Werkes [7]. In Anschluss daran bestimmt Japp das Parabatische wie folgt: „Im Grunde handelt es sich darum, daß zwei differente Wirklichkeiten, die von einer dritten [. . .] eingefaßt werden, vermittels eines Kippmechanismus in Beziehung gebracht werden.“ [8] Im unüberschreitbaren Rahmen des Zerbinos bewegt sich der Protagonist unentschieden zwischen der Wirklichkeit einer mimetischen Handlung und einer parabatischen Metafiktion, in der Figuren als Fiktionen existieren.

Beide Forscher, Szondi und Japp, kommen darin überein, dass Zerbino in besonderem Maße romantisch ist, da er zwischen zwei inkompatiblen Wirklichkeiten schwankt, ohne sie durch eine dritte höhere Wirklichkeit, die beide anderen umfasst, transzendieren zu können. In Anschluss an Christian Kirchmeiers jüngst erschienene Habilitationsschrift zur parabatischen Ästhetik lässt sich Zerbino als Kippfigur im Sinne des Modells Romantik interpretieren: „Sie [d. i. die Parabase] ist die ästhetische Technik einer Welt, in der die Referenz auf das Absolute prekär geworden ist, und die genau das ausstellt: das permanente Scheitern der Ausrichtung eines Systems auf ein transzendentales Signifikat. Die Parabase errichtet also, um Stefan Matuscheks Begriffe aufzugreifen, ein Jenseits, das aber nur selbstgemacht ist, oder einen Himmel, der nur gedichtet ist, und sie rückt diese Gemachtheit in den Vordergrund.“ [9]

Zerbinos Hin- und Hergerissenheit zwischen Fiktion und Metafiktion verhindert, den Zerbino illusionistisch zu lesen; denn die Leser:in ist mit einer Figur konfrontiert, die sich als Teil einer fiktiven Wirklichkeit gebärdet. In dieser Zurschaustellung von Artifizialität macht sich ein Kontingenzbewusstsein bemerkbar: Zerbino ist Teil einer Fiktion, die je nach Belieben ihrer Autor:in hätte anders aussehen können. Gleichwohl bleibt Zerbino einer abgeschlossenen Wirklichkeit verhaftet, die er trotz seines Begehrens nicht überschreiten kann. Damit zeigt sich an ihm ein „beständige[s] Kippen zwischen holistischen Sinnentwürfen und moderne[m] Kontingenzbewusstsein“ [10], was Sandra Kerschbaumer als Hauptmerkmal der historischen Romantik auffasst. Weshalb Zerbino eine romantische Kippfigur ist, liegt auf der Hand. Offen bleibt, warum sein Kippen komisch ist.

Dass Tiecks Komik nicht Schwerpunkt der Forschung ist, mag auch in einer grundsätzlichen Zurückhaltung gegenüber dem Komischen begründet sein. Ist das Komische nicht ein Affekt, der sich einstellen kann oder eben nicht? Entzieht es sich nicht einer rationalen Beschreibbarkeit? Um die literaturwissenschaftlichen Berührungsängste mit dem Komischen zu mindern, bietet Tom Kindts Modell einer textuellen Komik einen Anschlusspunkt: Gewiss kann man mit hermeneutischen Verfahren nicht entscheiden, inwieweit ein Text ein empirisches Lacherlebnis verursacht. Nichtsdestotrotz kann man in einer Interpretation der Frage nachgehen, inwieweit ein Text daraufhin angelegt ist, in einem spezifischen historischen Kontext eine komische Wirkung zu erzielen [11].

Nach Kindts Komikmodell kann eine Textstelle grundsätzlich als komisch qualifiziert werden, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: „Eine Textpassage soll genau dann gerechtfertigt als „komisch“ gelten, wenn es in ihr durch die Verwendung oder Verbindung von scripts zu Inkongruenzen kommt, die sich erstens als harmlos wahrnehmen lassen und die zweitens entweder nur scheinbar oder aber offensichtlich gar nicht aufgelöst werden können.“ [12] Trägt man die Interpretation von Zerbino als romantische Kippfigur in Kindts Modell ein, lässt sich deren Komik wie folgt plausibilisieren: Die Zerbino-Figur erzeugt Inkongruenz, da hier eine anthropomorphe dramatis persona mit einem Fiktionsbewusstsein ausgestattet wird. Hierdurch erklärt sich der paradoxale Eindruck, dass die Figur des Prinzen gleichzeitig aus ihrer Rolle fällt und in ihr verharrt. Aufgrund der Spielsituation der Komödie lässt sich die Zerbino-Figur trotz ihrer existenziellen Verzweiflung als harmlos wahrnehmen. Ihre Inkongruenz ist unauflösbar, da es unentscheidbar ist, ob sie als eine intradiegetische oder extradiegetische Figur zu interpretieren ist.

Mit Wolfgang Iser gesprochen, konstituiert die Zerbino-Figur ein Kipp-Phänomen [13], da sie die Leser:in dazu nötigt, zwischen zwei gleichberechtigten und sich doch ausschließenden Interpretationen hin und her zu wechseln. Dass mit dem Modell des Kippens sich sowohl unauflösbare Inkongruenzen als auch die Romantik auffassen lassen, deutet auf eine Affinität von Komik und Romantik hin. Um einen ersten Blick auf diese Verbindung zu werfen, soll im Folgenden untersucht werden, wie die historische Romantik selbst das Komische mit dem Romantischen in Beziehung setzt. Hierbei kommt Tiecks verzweifeltem Zerbino eine modellbildende Rolle zu: So modelliert Jean Paul mit dem Prinzen in seiner Vorschule der Ästhetik (1804) den „humour oder das romantische Komische.“ [14]

Im Gegensatz zur gewöhnlichen Komik, die auf Kontrasten zwischen Endlichem beruht, entsteht romantische Komik durch die Relationierung von zwei inkompatiblen Größen – dem Endlichen mit dem Unendlichen: „Wenn der Mensch, wie die alte Theologie tat, aus der überirdischen Welt auf die irdische herunter schauet: so zieht diese klein und eitel dahin; wenn er mit der kleinen, wie der Humor tut, die unendliche ausmisset und verknüpft: so entsteht jenes Lachen, worin noch ein Schmerz und eine Größe ist.“ [15] Jean Paul grenzt den Humor von einer herabblickenden Haltung ab, die sich vom Endlichen so weit wie möglich distanzieren möchte. Indes will der Humor das Unendliche durch das Endliche fassen, wenngleich dieser Versuch zum Scheitern verurteilt ist. Doch erregt die Inkongruenz, die er erzeugt, zumindest ein respektvolles Lachen. Diese Definition des Humors erinnert an Novalis‘ Romantisierungsoperation [16], die ebenso eine letztlich unmögliche Verbindung zwischen Endlichem und Unendlichem anstrebt. Es überrascht daher nicht, dass der so verstandene Humor dem Romantisch-Komischen entspricht. Davon ausgehend ließe sich als romantisch-komisch eine Inkongruenz charakterisieren, die vom Versuch zeugt, das Unendliche mit Endlichem darzustellen. Wie eine solche metaphysisch anmutende Form des Komischen literarische Gestalt annehmen soll, ist gewiss nicht evident. An dieser Stelle ist es daher notwendig nachzufragen, wann eine Textstelle für Jean Paul komisch ist.

Jean Paul verortet das Komische in einem epistemologischen Spannungsverhältnis zwischen dem „lächerliche[n] Wesen“ [17] und seiner Beobachter:in. Er illustriert seine Komiktheorie mit einer Episode aus Cervantes Don Quijote [18]: In dieser zappelt Don Quijotes Diener eine Nacht über einem flachen Erdloch, da er es fälschlicherweise für äußerst tief hält. Die Leser:in, die es besser weiß als die komische Figur, kann sich über Sancho Panzas Fehleinschätzung und irrationale Handlung amüsieren. Gleichwohl erscheint aus der Perspektive der Figur ihre Furcht davor, in die Tiefe zu stürzen, rational begründet zu sein. Das Lachen der Leser:in beruht somit auf einer irrationalen Übertragung des Wissens auf den Diener: „Wir leihen seinem Bestreben unsere Einsicht und Ansicht und erzeugen durch einen solchen Widerspruch die unendliche Ungereimtheit“. [19] Nach Jean Pauls Theorie entsteht das Komische in literarischen Texten zunächst dadurch, dass die Leser:in wahrnimmt, wie die Intentionen einer Figur in Konflikt mit ihrer Umgebung geraten [d. i. objektiver Kontrast]. Damit dieser Konflikt als komisch erscheinen kann, muss die Leser:in mit ihrem Wissen die Situation der komischen Figur interpretieren [d. i. subjektiver Kontrast]. Aus dieser Diskrepanz ergibt sich ein Kipp-Phänomen: Die Leser:in wechselt zwischen ihrer Perspektive und derjenigen der komischen Figur. Mit Blick auf den Humor stellt sich aber nun die Frage, wie eine epistemologische Differenz zwischen Leser:in und Perspektiven im Text beschaffen sein muss, damit sie über die unendliche Ungereimtheit hinaus das Endliche mit dem Unendlichen kontrastiert.

Als einziger objektiver Kontrast bietet sich für den Humor das vergebliche Streben des romantischen Menschen nach dem Unendlichen in einer endlich-empirischen Welt an; denn nur in diesem Streben kann sich das Unendliche zeigen. Die Humorist:in kann folglich nicht bei einer epistemologischen Differenz zwischen Leser:in und Komödienfigur ansetzen. Insofern die Romantik davon ausgeht, dass menschlicher Subjektivität eine Unendlichkeitssehnsucht innewohnt [20], findet beim Humor keine strikte Unterscheidung zwischen objektivem und subjektivem Kontrast statt: „Denn wenn das Komische im verwechselnden Kontraste der subjektiven und objektiven Maxime besteht: so kann ich, da nach dem obigen die objektive eine verlangte Unendlichkeit seyn soll, diese nicht außer mir gedenken und setzen, sondern nur in mir, wo ich ihr die subjektive unterlege. Folglich setz’ ich mich selber in diesen Zwiespalt, – aber nicht etwa an eine fremde Stelle, […]– und zertheile mein Ich in den endlichen und unendlichen Faktor und lasse aus jenem diesen kommen. […] Daher spielt bei jedem Humoristen das Ich die erste Rolle; wo er kann, zieht er sogar seine persönlichen Verhältnisse auf sein komisches Theater, wiewohl nur, um sie poetisch zu vernichten [Hervorhebung J.S.].“ [21]

Die Beobachtung eines endlichen Wesens, das sich nach dem Unendlichen sehnt, löst keine Erfahrung epistemologischer Differenz aus. Im Fall des Humors kommt die subjektive Wahrnehmung des objektiven Kontrasts zwangsläufig auf sich selbst zurück. Hier besteht das unendlich Ungereimte im Hin- und Her zwischen Endlichem und Unendlichem, das die Conditio humana der Humorist:in und der Leser:in gleichermaßen prägt. Das Ziel der Ersteren ist somit, Letztere an das eigene Spannungsverhältnis zwischen endlich-empirischem und dem unendlichen Ich zu erinnern. Vernichtung ist hier das ästhetische Stichwort, mit dem einem Text eine romantisch-komische Reflexionsfigur eingeschrieben werden kann. Mit der Autor:in, die ihr eigenes Ich der Satire preisgibt, führt auch Jean Paul ein erstes Beispiel dafür an, wie sich Humor literarisch äußern kann. Grundsätzlich gilt es für die Humorist:in, „die vernichtende oder unendliche Idee“ [22] zu evozieren.

Tiecks Zerbino-Figur gibt das literarische Modell dafür ab, wie dies gelingen kann: „Wie überhaupt die Vernunft den Verstand (z.B. in der Idee einer unendlichen Gottheit), wie ein Gott einen Endlichen, mit Licht betäubt und niederschlägt und gewaltthätig versetzt: so thut es der Humor, […] um vor der Idee fromm niederzufallen. Daher erfreuet sich der Humor oft geradezu an seinen Widersprüchen und an Unmöglichkeiten, z.B. in Tieks [sic] Zerbino, worin die handelnden Personen sich zuletzt nur für geschriebne und für Nonense halten.“ [23] Für Jean Paul repräsentiert Zerbinos erfolgloses Streben, sich und seine Wirklichkeit zu nivellieren, die Intention eines produzierenden Ichs, seine Fiktion auslöschen zu wollen, was wiederum auf seine unerfüllbare Unendlichkeitssehnsucht schließen lässt: Doch die Humorist:in verzweifelt nicht am Unmöglichen; vielmehr kostet sie die performativen Widersprüche, in die sie ihren Text verwickelt, spielerisch aus.

Wieso sollte sich aber ihre Lust auf die Leser:in übertragen? Im 18. Jahrhundert wird Textverstehen zumeist autorzentriert gedacht: Einen Text zu verstehen bedeutet, dass „die Lesende die Leistung des Autors selbst vollziehen“ [24]. Damit sich Humor auf der Ebene der Rezeption einstellen kann, muss die Leser:in das literarische Werk in ihrer Reflexion folglich mitvernichten. Vollzieht die Leser:in die Widersprüche mit, in welche die Humorist:in ihren Text verstrickt, so wird ihr hermeneutisches Bemühen darum, den Text zu erschließen, unterbrochen. Dies geschieht zum Beispiel durch Kipp-Phänomene wie die Zerbino-Figur. Eine Textstelle, die die Leser:in zwischen sich ausschließenden Interpretationen schwanken lässt, enthält kein Proposition, anders formuliert: Sie sagt nichts.

Für eine romantische Leser:in mag ein Text, der seine eigene Propositionalität zur Disposition stellt, auf eine unendliche Idee verweisen, während ihn eine post-romantische/moderne Leser:in als ein selbstreferentielles Spiel auffasst. Beide Interpretationen beziehen sich auf dasselbe ästhetische Phänomen, das sie als romantisch auffassen: Einen Text, der ostensiv seine eigene Propositionalität hintertreibt. Insofern dies besonders gut durch harmlos wahrnehmbare Kipp-Phänomene gelingt, erweist sich das Komische als idealer Ort für das Romantische. Durch sie kann die Romantiker:in ihr vergebliches Streben nach einem sinnhaften Ganzen als heiteres Spiel erfahrbar machen. 

 

Anmerkungen

[1] Ludwig Tieck: „Prinz Zerbino oder die Reise nach dem guten Geschmack, gewissermassen eine Fortsetzung des gestiefelten Katers. ein Spiel in sechs Aufzügen“, in: ders.: Romantische Dichtungen, Bd. 1, Jena 1799, S. 1–422, hier S. 369f.

[2] Vgl. ebd., S. 370–378.

[3] Vgl. Heinrich Heine: „Die Romantische Schule“, in: Heinrich Heine. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, Bd. 8.1, hg. von Manfred Windfuhr, Hamburg 1979, S. 121–249, hier S. 178; vgl. Sören Kierkegaard: „Über den Begriff der Ironie“, in: Gesammelte Werke, Abteilung 3, Bd. 1, übersetzt von Emanuel Hirsch, Düsseldorf [u. a.] 1961, S. 311.

[4] Peter Szondi: „Friedrich Schlegel und die romantische Ironie: Mit einer Beilage über Tiecks Komödien“, in: Satz und Gegensatz, Frankfurt am Main 1964, S. 5–24, hier S. 22.

[5] Vgl. ebd., S. 21.

[6] Friedrich Schlegel: „Vom ästhetischen Werte der griechischen Komödie“, in Kritische Friedrich Schlegel Ausgabe, Bd. 1, hg. von Ernst Behler, Paderborn 1979, S. 19–33, hier S. 30.

[7] Vgl. Christian Kirchmeier: Parabasis. Literarische Wirklichkeit im Zeitalter der Repräsentation, Konstanz 2023, S. 128f.

[8] Uwe Japp: Die Komödie der Romantik: Typologie und Überblick, Berlin [u. a.] 1999, S. 21.

[9] Kirchmeier, Parabasis, S. 298.

[10] Sandra Kerschbaumer: Immer wieder Romantik, Heidelberg 2018, S. 112.

[11] Vgl. Tom Kindt: Literatur und Komik: Zur Theorie literarischer Komik und zur deutschen Komödie im 18. Jahrhundert, Berlin 2011, S. 77f.

[12] Ebd., S. 137.

[13] Vgl. Wolfgang Iser: „Das Komische: Ein Kipp-Phänomen“, in: Das Komische, hg. Wolfgang Preisedanz/Rainer Warning, München 1976, S. 398–402, hier S. 400.

[14] Jean Paul: „Vorschule der Aesthetik neben einigen Vorlesungen in Leipzig über die Parteien der Zeiten“, in: Jean Paul Werke: Historisch-Kritische Ausgabe, Bd. 5.1, hg. von Florian Bambeck, Berlin [u. a.] 2015, S. 180. Diese Ausgabe enthält ein Paralleldruck der ersten Auflage der Vorschule von 1804 sowie der überarbeiteten zweiten Auflage von 1813.

[15] Ebd., S. 188.

[16] Vgl. Novalis. „Logologische Fragmente [II]“, in: Novalis Schriften, Bd. 2, hg. von Richard Samuel, Stuttgart 21965, S. 531–563, hier S. 545.

[17] Paul, Vorschule, S. 188.

[18] Die Forschung weist darauf hin, dass die von Jean Paul hier diskutierte Episode derart in Cervantes Don Quichotte nicht zu findet ist. (Vgl. Jean Paul: „Vorschule der Aesthetik“, in: Jean Pauls Sämtliche Werke: Historisch-kritische Ausgabe, Abt. 1/Bd. 1, hg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaft, Weimar 1935, S. 446 (Anmerkungen).)

[19] Paul, Vorschule, S. 158.

[20]  August Wilhelm Schlegels Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur bieten eine pointierte Darstellung der romantischen Sehnsuchtsanthropologie: „Allein so bald wir uns Rechenschaft von unserm eignen Thun geben, nöthigt uns die Vernunft diesen Zweck wieder auf höhere, und so endlich auf den höchsten allgemeinen Zweck unsers Daseyns zu beziehen: und hier bricht sich die unserm Wesen innewohnende Forderung des Unendlichen an der Schranken der Endlichkeit, worin wir befangen sind“ (August Wilhelm Schlegel: „Vorlesungen über Dramatische Kunst und Literatur. Zweyte Vorlesung“, in: ders.: Kritische Ausgabe der Vorlesungen, Bd. 4.1, hg. von Stefan Knödler, Paderborn [u. a.] 2018, S. 25–36, hier S. 31.).

[21] Paul, Vorschule, S. 194.

[22] Ebd., S. 188.

[23] Ebd., S. 192.

[24] Rüdiger Campe: „Regelpoetik oder Genie“, in: Handbuch Literatur & Philosophie, hg. Andrea Allerkamp/Sarah Schmidt, Berlin [u. a.] 2021, S. 115–125, hier S. 123. 

 

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Titelblatt von Tiecks „Prinz Zerbino“