Jochen Strobel (Hg.)

August Wilhelm Schlegel im Dialog

Epistolarität und Interkulturalität

Ferdinand Schöningh 2016

Der von Jochen Strobel herausgegebene Band zielt darauf, die Bedeutung und die Rolle August Wilhelm Schlegels für die deutschsprachige Romantik hervorzuheben und den Philologen, Kritiker, Übersetzer und Literaturhistoriker als einen ihrer Protagonisten zu präsentieren. Damit richtet sich der Band gegen eine in der Literaturgeschichtsschreibung und der germanistischen Forschung bis in die Gegenwart virulente Abwertung Schlegels und geht mit einer Reihe von Veröffentlichungen konform, die Schlegel einen prominenten Platz erstreiten wollen. Zu diesen gehören die vom Herausgeber gemeinsam mit York-Gothart Mix 2010 veröffentlichte Sammlung „Der Europäer August Wilhelm Schlegel. Romantischer Kulturtransfer – romantische Wissenswelten“ und die gerade erschienene Biographie von Roger Paulin „The Life of August Wilhelm Schlegel. Cosmopolitan of Art and Poetry“ (Cambridge 2016).

Die Aufwertung des älteren Schlegel erfolgt im vorliegenden Band durch die Betonung seiner kommunikativen Kraft und Wirkung. Sie wird in zwei den Band flankierenden Beiträgen theoretisch durch einen praxeologisch orientierten Zugang abgesichert – jenes kulturwissenschaftliche Paradigma, das davon ausgeht, dass Wissen in sozialen Handlungen aufgehoben und fortgeschrieben wird. August Wilhelm Schlegel erscheint im Beitrag von Kai Kauffmann als „tatkräftigster“ und „wirkmächtigster Schriftsteller unter den Frühromantikern“ (S. 9). Gegen das ausführlich nachgezeichnete klischeehafte Negativbild vom wenig schöpferischen Schlegel betont Kauffmann, dass sich in Praktiken wie dem Schreiben von Kritiken, dem Halten von Vorlesungen, dem Übersetzen, Kommentieren und Edieren philologische Tätigkeiten mit theoretischer Reflexion und ästhetischer Produktivität verbanden. Bis in ihre Struktur hinein sei den Texten Schlegels eine Ausrichtung auf konkrete Handlungs- und Wirkzusammenhänge anzumerken, eine Struktur, die die praktische Nutzanwendung nahelegte. So konnten etwa die „Briefe über Poesie, Silbenmaß und Sprache“ (1795) zur Grundlage für Schlegels metrische Beratung Goethes bei gemeinsamen Spaziergängen werden.

Auch Jochen Strobel erklärt Schlegel zu einem Vertreter der „romantischen Praxis“ und widmet sich in seinem Beitrag dem Bonner „Professor und Verwaltungsbürokraten“ – arbeitete Schlegel doch über 20 Jahre als professor litterarum elegantiorum an der 1818 neu gegründeten Universität. Anhand der Korrespondenz mit dem Kurator Philipp Joseph Rehfues, zuständig für die Durchsetzung staatlicher Interessen und die Kontrolle der Universität, zeigt Strobel, wie sich romantische Positionen und Formen des Austausches in die Kommunikation zweier Amtspersonen schieben. So klagt Schlegel zweckfreie Forschung, Internationalität und Interdisziplinarität ein und verteidigt einen Kulturstaat, der nicht im reinen Verwaltungsstaat aufgehen solle. Vor allem deutet Strobel die Beziehung der Korrespondenzpartner als eine die institutionellen Rollen überwölbende romantische Praxis des Austausches – beispielsweise über Veröffentlichungen der Beteiligten: „Uebrigens,“ schreibt Rehfues, „kann ich den Wunsch nicht unterdrücken, daß Ew. Hochwohlgeboren auch an die Ordnung einer Gesammt-Ausgabe Ihrer deutschen Schriften denken möchte, die so wesentlich auf unser Aller Bildung eingewirkt haben“ (S. 224).

Briefe erscheinen im vorliegenden Band als eines der zentralen kommunikativen Medien des Romantikers August Wilhelm Schlegel. Daher bilden die Beiträge zu diesem Werkkomplex einen wichtigen Bestandteil des Bandes. Die Analysen können dabei auf die 2012 begonnene Digitalisierung und elektronische Edition der Korrespondenz August Wilhelm Schlegels zurückgreifen, die von der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, der Philipps-Universität Marburg und dem Trier Center for Digital Humanities unternommen und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wird.

Ein Beitrag von Jochen Bär beschäftigt sich allgemein mit dem „semantisch-pragmatischen Konzept ‚Brief‘ in der ‚Romantik‘“ und wertet ein digitales Quellenkorpus hinsichtlich der Frage aus, was Autoren und Autorinnen der Jahrzehnte um 1800 über Briefe aussagen. Ziel ist eine Rekonstruktion der Briefkultur oder Praxis des Briefeschreibens um 1800. Claudia Bamberg untersucht „August Wilhelm Schlegel und das Briefnetzwerk seiner Familie“, einen bisher weitgehend unbekannten Gegenstand, hatte doch Josef Körner in seinen wegweisenden Brief-Editionen („Briefe von und an August Wilhelm Schlegel“, „Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegel-Kreis“) nur wenige Familien-Briefe gedruckt. Die Familienkorrespondenz grenzt sich in ihrer Vertrautheit und Intimität von anderen Netzwerken des europaweit tätigen Schlegel ab. Die Privatperson wird aber auch hier nur indirekt sichtbar, da die Briefe August Wilhelm Schlegels zum Teil wohl durch Vernichtung weitgehend fehlen. Stefan Knödler äußert sich „Zum Briefwechsel zwischen August Wilhelm Schlegel und Madame de Staël“. Er beschäftigt sich mit einer Konstellation, die für den Tradierungsprozess der Romantik von außerordentlicher Bedeutung ist, verweist aber auch hier auf die lückenhafte Quellenlage – hier fehlen die Briefe Mme de Staëls –, die es nur in Ansätzen ermöglicht, zu rekonstruieren, worüber und in welcher Form sich die Gesprächspartner ausgetauscht haben.

Es bleiben weitere Beiträge zu nennen, die sich dem interkulturellen Vermittler August Wilhelm Schlegel widmen: Jürgen Hanneder betrachtet aus fachgeschichtlicher Perspektive Schlegel als „ersten Indologen“ und beleuchtet dessen impulsgebende Bedeutung für den Sanskrit-Druck, die kritische Edition von Sanskrit-Texten und die Übersetzungstechnik. Raphaela Braun widmet sich dem „Literaturvermittler in Spanien und Deutschland“. Unter keines der titelgebenden Schlagworte „Epistolarität“ und „Interkulturalität“ lassen sich die Beiträge von Héctor Canal („August Wilhelm Schlegel und Sophie Bernhardis ‚Variationen‘ als poetische Quintessenz der Frühromantik“) und Wolfgang Bunzel subsumieren, denn beide kehren zum poetischen Bereich im engeren Sinne zurück: Bunzel untersucht den Kontext des von Schlegel und Tieck für das Jahr 1802 herausgegebenen Musen-Almanachs und versteht diesen als „Gruppenmanifest“ (S. 130), als Sammlung ästhetisch beispielgebender Texte des Jenaer Kreises, als eine strategische Publikation also, die Schlegels aktives Interesse an der Positionierung und Wirkung der Romantik belegt. Insgesamt ist der Band ein wichtiger Baustein zur Würdigung August Wilhelm Schlegels und der Tatsache, dass es nicht allein darauf ankommt, was einmal gedacht wurde, sondern auch wie Wissensbestände und ästhetische Verfahrensweisen tradiert, wie sie in diskursive Prozesse und in praktisches Handeln eingespeist werden.

Rezension verfasst von: Sandra Kerschbaumer

 

August Wilhelm Schlegel im Dialog