Jakob Christoph Heller, Erik Martin und Sebastian Schönbeck (Hgg.)

Ding und Bild in der europäischen Romantik

De Gruyter 2020

Der aus einer gleichnamigen Tagung an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder hervorgegangene Sammelband Ding und Bild in der europäischen Romantik rekonstruiert, wie Romantiker:innen das Spannungsverhältnis von Ding und Bild beschäftigte: Inwieweit kann ein Bild ein Ding abbilden? Ist die Abbildung eines Dinges nicht selbst wieder dinghaft? Die Herausgeber verstehen unter dem Bild, die subjektive Aneignung der äußeren Welt der materiellen Dinge. Der Sammelband möchte die romantischen Annäherungen an das Bild-Ding-Problem unter anderem für den material turn und den ecocriticism fruchtbar machen. Dabei deutet der Dialog, in den die romantische Bild-Ding-Auseinandersetzung mit der kultur-ökologischen Debatte rund um die agency (bzw. Handlungsmacht) und Alterität nicht-menschlicher Wesen gebracht wird, die Anschlussfähigkeit der Romantikforschung für eine Neuverhandlung des gegenwärtigen Naturverhältnisses an: Ist in der Romantik bereits eine Anerkennung für die Eigenlogik – und Dynamik der Dinge zu finden?

Der interdisziplinäre Sammelband umfasst 16 eher kürzere Beiträge. Vertreten sind die Germanistik, Romanistik, Philosophie, Kunstgeschichte und die Slawistik. Die Aufsätze sind in drei thematische Blöcke gegliedert. An eine einführende Darstellung Theoretischer Positionen schließen sich Einzelstudien in den Kapiteln Dinglichkeit des Bildes und Bildlichkeit des Dinges an. Während sich die unter dem ersten Kapitel versammelten Beiträge mit dem materiellen Aspekt von Bildern beschäftigen, eruiert das zweite Kapitel, inwieweit die Dinge nicht auch immer schon bildlich sind.

Den Sammelband leitet Ralf Simons programmatischer Aufsatz Ding und Bild. Romantik als Prozessualisierung des Ikonischen und als Reflexionsmedium der Dinglichkeit ein. Simon erweist die literaturgeschichtliche Fruchtbarkeit von Bild und Ding, indem er anhand dieses Begriffspaares die Romantik vom Realismus abgrenzt. Die Romantiker:in, deren entfesselte Einbildungskraft Bildabfolgen erschafft, die keine eindeutige Anbindung von Bildern an Dinge zulässt, erscheint der Realist:in nahezu als neurotische Kurator:in eines „pathogenen Museum einer nicht bewältigten Dingwelt“ (S. 47). Aus der kritischen Perspektive des Realismus ist die romantische Dichter:in stets gefährdet, die Kontrolle über die selbstgeschaffene Dingwelt zu verlieren.

Philipp Webers Das Bild des Unendlichen bei Friedrich Schlegel knüpft an Simons Befund bezüglich einer dingnivellierenden Romantik an. Für Schlegel gelangt der Verstand über die endlose Reflexion über das Bedingte zum Bewusstsein des Unbedingten bzw. Unendlichen (S. 76f). Unter dieser Voraussetzung kann jedes Bedingte das Unendliche verbildlichen, wenn auch die Romantiker:in dabei seine konkrete Materialität und Handlungsmacht vernachlässigen kann. Eine Dingnivellierungstendenz weist auch Alfred Gall in Die Grenzen des Bildes und das Außen. Aspekte der Referenzialität in der Lyrik der polnischen Romantik in den Werken von Adam Mickiewicz und Juliusz Słowacki nach. Gall zeigt auf, wie die Schöpfung und Auflösung von Dingwelten das Trauma des Heimatverlusts der Dichter-Ichs hindeutet (S. 172f).

In Galls und Webers Beiträgen erscheint die künstlerische Verarbeitung von Dingen als bewusster Prozess, der durch die menschliche Einbildungskraft gelenkt wird. Folglich muss die romantische Künstler:in nicht fürchten, die Kontrolle über die selbstgeschaffenen Dingen zu verlieren. Michał Mrugalskis Aufsatz Incipit tragoedia. Verdinglichung und Entdinglichung des Menschen im Drama des Besitzens zeigt dagegen anhand von Adam Müllers und Heinrich Heines Entfremdungstheorie, dass die (spätere) Romantik eine Furcht davor, Autonomie gegenüber den selbstgeschaffenen Dinge zu verlieren, thematisiert: Die individuelle Selbstbestimmung ist darin gefährdet, dass der Mensch das Faktum verdrängt, dass er seine Wirklichkeit gestaltet hat. Dadurch gerät er in Gefahr von seiner selbstgeschaffenen Ding- bzw. Bildwelt beherrscht zu werden.

Bereits die Protagonisten vom Tiecks Getreuer Eckart, und Eichendorffs Marmorbild, drohen ihren Verstand und damit die Kontrolle über ihre selbst erschaffenen Phantasmen zu verlieren, wie Maximilian Bergengruen in seiner motivgeschichtlichen Untersuchung Vaterworte und ‚Ur -Bilder‘. Zu Differenz von Kindheits- und Dingerinnerung in Venusberg-Dichtungen ausführt. Mit Bergengruen und Mrugalski ließe sich argumentieren, dass die romantischen Venusbergbearbeitungen darstellen, wie eine sich verselbständigende Einbildungskraft die Autonomie des Subjekts angreift. Dies zeigt, dass die realistische Negativfolie der von ihren Dingen beherrschten Romantiker:in in den Texten der historischen Romantik angelegt ist.

Die Diskussion über die Entfremdung von den selbstgeschaffenen Dingen wird von Aufsätzen ergänzt, welche die Handlungsmacht der Dinge im künstlerischen Prozess betonen. Johannes Graves Aufsatz Das Bild als Ding – das Ding als Bild argumentiert, dass Caspar David Friedrichs Mönch am Meer seine eigene Materialität bzw. seine „Dinglichkeit“ (S. 54) herausstellt. Hierdurch unterläuft das Bild die Sehgewohnheiten der Rezipient:in des 18. Jahrhunderts, die sich nach Vorgaben der Illusionsästhetik, auf die im Bild abgebildeten Gegenstände konzentriert, ohne dabei die Gemachtheit des Bildes zu beachten. Bei den romantischen Künstlern Caspar David Friedrich und Philipp Otto Runge kommt indes die Handlungsmacht des Bildes nicht nur als Bildträger, sondern als materielles Ding zur Geltung (S. 69). Das romantische Bild lädt die Betrachter:in dazu ein, seinen Dingcharakter in ihren Interpretationen anzuerkennen.

Caroline Schuberts Überlegungen zu Gogol’s Kreisen erinnern an Graves These zur Wirkweise von romantischen Bildern. Ihr Aufsatz diskutiert die Obsession Nicolai Gogols mit dem als Ziffer und Buchstaben lesbaren O, und wie es den künstlerischen Schaffungsprozess des russischen Schriftstellers beeinflusst. Die zahlreichen Spielereien Gogols mit O veranschaulichen, wie der russische Autor sich die Arbitrarität der Schrift kreativ aneignet und für die Leser: in sichtbar macht (S. 319). Die Aufsätze, welche die Tendenz der romantischen Ästhetik zur Medienreflexion belegen, werfen die Frage auf, wie das Bewusstsein von der Macht des Dinges, mit der oben diskutierten romantischen Angst vor Entfremdung zusammenhängt.

Der Sammelband überzeugt dadurch, dass er der Leser:in sowohl die Vielfalt als auch die zahlreichen Berührungspunkte zwischen den romantischen Bild-Ding-Konstellationen vor Augen führt. Trotz aller Unterschiede plausibilisiert der Sammelband die Grundthese von Simon und den Herausgebern, dass sich die Romantik durch ein Spannungsverhältnis von Bild und Objekt charakterisieren lässt. Der zumeist eher oberflächliche Bezug der Aufsätze zum material turn und ecocriticism legt jedoch nahe, dass sich das theoretische Niveau der Diskussion des romantischen Verhältnisses von Bild und Ding noch steigern ließe. Einige Beiträge scheinen sich auch noch nicht genügend vom skizzenhaften Konferenzbeitrag entfernt zu haben. An manchen Stellen vermisst die Leser:in präzise Pointen, Argumente, und Positionierungen.

Rezension verfasst von: Sigmund Jakob-Michael Stephan

Ding und Bild in der europäischen Romantik