Bron Taylor

Dunkelgrüne Religion

Naturspriritualität und die Zukunft des Planeten

Wilhelm Fink 2020

2009 prägte Bron Taylor den Ausdruck dark green religion – zu Deutsch: dunkelgrüne Religion und entwickelte eine Heuristik, mit der er in seiner gleichnamigen Monographie den Spuren eines vermeintlich global verbreiteten Phänomens folgt: dem Wachsen von Naturspiritualität und Umweltbewusstsein. Eine dunkelgrüne Religion vernetzt seiner Ansicht nach die verschiedensten Ausprägungen der menschlichen Sehnsucht nach Naturverbundenheit.

Eine Naturspiritualität, welche die als zerstörerisch angesehenen christlichen Religionsformen ersetzt, durchströmt vielfach die letzten zwei Jahrhunderte sozialer und medialer Geschichte. Eine grüne Religionsform entstehe, so Taylor, wo die Natur als intelligent, lebendig und schützenswert betrachtet wird. Wenn die menschliche Pflicht, die Natur zu schützen, allerdings in Gewalt und Extremismus mündet, verwandle sich das Phänomen der grünen Religion in die dunkelgrüne Religion.

Bemerkenswert an Taylors nun auf Deutsch erschienener Monographie ist die schiere Bandbreite der verarbeiteten Beispiele. Mit Dunkelgrüne Religion ist es dem Verfasser gelungen, einen roten Faden durch 200 Jahre Weltgeschichte zu ziehen. Wie es die jahrzehntelange Forschungserfahrung des Autors erhoffen lässt, bietet das Buch eine beeindruckende Vielfalt an Untersuchungsgegenständen, die von Filmen über Werbetexte, Zeitschriften und Literatur bis hin zu Theme Parks und Naturschutzgebieten reicht.

In der Übersetzung profitieren deutsche Leser*innen von einem Vorwort des Autors zur Neuausgabe und einer Nachbemerkung des Übersetzers Kocku von Stuckrad mit wertvollen Ergänzungen zur europäischen Kulturgeschichte sowie kommentierten Auszügen aus dem Werk des amerikanischen Schriftstellers und Philosophen Henry David Thoreau.

Das neue Vorwort unterzeichnet der Autor mit den Worten „im Zeitalter des Coronavirus“. Mit diesem kurzen Satz wird die Aktualität des Themas klar zum Ausdruck gebracht. Fraglich ist jedoch, ob die dunkelgrüne Religion zum gesellschaftlichen Wandel in dem Maße beitragen kann, wie es die aktuellen Umstände im anthropozänen Zeitalter verlangen. Genau diese Problematik wird im letzten der neun Kapitel mit dem Titel Dunkelgrüne Religion und die Zukunft des Planeten mit Optimismus angesprochen.

Mit der Bezeichnung dunkelgrün verweist der Autor jedoch auch auf den Extremismus, der mit Naturschutz und Naturspiritualität einhergehen kann, wie bei jeder religiösen Strömung. Da sich radikale Umweltschutzbewegungen im internationalen Raum auf amerikanische Modelle berufen, ist die historische und soziologische Einführung zu dieser dunklen Seite der grünen Religion Nordamerikas im neunten Kapitel von allgemeinem Interesse.

Der Religionsbegriff wird in den Kapiteln eins und zwei sowie im Nachwort zur Begrifflichkeit besprochen. Eine klare Definition des Religionsbegriffs bleibt jedoch aus, zugunsten einer „flexiblen Definition von Religion“ (S. 299). Taylor unterscheidet immerhin vier Typen, die sich seit dem ersten Earth Day 1970 etablierte hätten: Je zwei Formen des Animismus und der Gaia-Religion, einmal spirituell, einmal naturalistisch ausgerichtet. Grundbestandteil der grünen Religionsformen sei, so Taylor, die Annahme einer Intelligenz oder Kraft nichtmenschlicher Lebensformen (S. 20–23).

Mal Heuristik, mal Deutungsfigur – die dunkelgrüne Religion scheint all das zu sein, was zur soziologischen Großthese Taylors passt. Darin liegt die Schwierigkeit des Buches: Einerseits legt der Autor das Phänomen einer zunehmenden Naturspiritualität vollkommen überzeugend dar. Andererseits mangelt es bei den einzelnen Beispielen an Abgrenzungen und Details, die einen weniger naturbezogenen Blick auf den jeweiligen Gegenstand erlauben. Als Beispiel kann Kapitel fünf Surfing als spirituelle Praxis dienen. Darin wird die Subkultur des Surfens als naturnahe Praxis beschrieben, ohne auf die Popularisierung und die damit einhergehende Technologisierung von Natur-Sportarten wie Surfen, Klettern oder Alpinismus im Allgemeinen einzugehen. Kann man noch von ‚Eins-Sein mit Mutter Ozean‘ sprechen, wenn Übungswellen künstlich hergestellt werden müssen? Möglicherweise ein besonders europäisches Problem.

Damit stellt sich die Frage, inwiefern die übersetzte Monographie für eine europäische Leserschaft relevant ist. Die nordamerikanische Umweltschutzbewegung sowie eine primär amerikanische Medienlandschaft stehen klar im Mittelpunkt des Buches. Dennoch ist die Dunkelgrüne Religion auf den europäischen Raum übertragbar und Taylor bietet eine Perspektive, die in den seit der Veröffentlichung der englischen Originalfassung vergangenen elf Jahren massiv an Brisanz gewonnen hat. Kocku von Stuckrad hat darüber hinaus den Text in Bezug auf den europäischen Raum durch Hinweise auf die historischen Sachverhalte in Deutschland ergänzt.

Kapitel vier und sechs, sieben und acht sind global ausgerichtet. Die Naturdokumentationen David Attenboroughs, die Filme Walt Disneys, Aussagen bekannter Persönlichkeiten sowie die Geschichte diverser politischer Gipfel sind international relevant. Hingegen beschäftigen sich Kapitel drei und fünf ausschließlich mit dem nordamerikanischen Raum. Ironischerweise ist der Abschnitt mit den meisten Informationen über die Strömungen grüner Religion in Europa das dritte Kapitel Dunkelgrüne Religion in Nordamerika, welches sich mit der wechselseitigen Beziehung europäischer und amerikanischer Haltung zur Natur beschäftigt.

Aussagen vieler bekannter Wissenschaftler und Personen des öffentlichen Lebens aus dem 20. Jahrhundert wie Jane Goodall oder Steve Irwin werden zusammen mit jenen von Literaten und Wissenschaftlern auf ihre spirituelle Haltung hin befragt. Auch die Ansichten von bekannten Größen der Umweltbewegung wie John Muir, Aldo Leopold, James Barnes und Rachel Carson werden dargestellt. Interessant für die Romantik-Forschung sind die historischen Rückblicke auf Synder, Thoreau, Darwin, Burke, Rousseau u. v. m., die durch Anmerkungen des Übersetzers zum europäischen Diskurs in Bezug gesetzt werden. Es wird zwar nicht explizit auf die Romantik eingeganen – dennoch dürften sich Interessierte über die Kommentierten Auszüge aus dem Werk von Henry David Thoreau freuen. Die dunkelgrüne Religion hat ihre Wurzeln nach Ansicht des Verfassers in der Evolutionstheorie Darwins sowie Ernst Haeckels. Grüne Religionsformen könnten als Teilaspekt eines erweiterten romantischen Gesamtbildes miteinbezogen werden, das die Verflochtenheit von Literatur, Kunst und Wissenschaftsgeschichte berücksichigt, ganz im Sinne der neueren Romantikforschung, wie etwa Peter Schnyders Erdgeschichten Literatur und Geologie im langen 19. Jahrhundert oder Alan Bewells Natures in Translation.

Mit gegenwartsdiagnostischem Anspruch verfolgt das letzte Kapitel die Frage nach der Tragfähigkeit der dunkelgrünen Religion als einflussreiche gesellschaftliche Kraft, mit deren Hilfe die Herausforderungen unseres Zeitalters, des Anthropozäns, zu bewältigen seien. Taylor fasst es so zusammen: „Es gibt Zeiten, in denen sich Ideen und Praktiken entscheidend ändern. Dieser Wandel kann sich über Generationen hinweg oder aber schnell vollziehen, vorangetrieben durch eine als Krise wahrgenommene Situation oder durch aufregende neue Informationen“ (S. 271). An Krisen und Aufregung war das Jahr 2020 reich genug. Das Buch endet mit einer ausgesprochenen romantischen Note: „Wenn es eine sinnvolle und vernünftige postdarwinistische Religion gibt, dann muss es auch eine sinnliche postdarwinistische Religion geben. Hierfür ist die dunkelgrüne Religion eine aussichtsreiche Kandidatin.“ (S. 298)

Rezension verfasst von: Ruth Barrat-Peacock

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