Helmut Schanze

Erfindung der Romantik

J.B. Metzler 2018

Mit der Erfindung der Romantik legt Helmut Schanze noch einmal eine umfangreiche Monografie vor, die sich seinen beiden Themenschwerpunkten Romantik und Mediengeschichte widmet. Das Werk ist passend zum Untersuchungsgegenstand als Trias angelegt. Die gewählten Zeitabschnitte 1793–1798 („Tendenzen“), 1798–1828 („Doktrinen“) und 1828–1918 („Kein Ende“) entsprechen grob den Kategorien Vorgeschichte, Epoche und Wirkung, wobei Schanze sich bei letzterer auf die Nachwirkungen bis zum Ende des Ersten Weltkriegs beschränkt. In der titelgebenden Einleitung „Die Erfindung der Romantik“ zeigt der Autor auf, welche Problemfelder mit einer Definition des Begriffs ,Romantik‘ verbunden sind. Schanze verdeutlicht hier noch einmal, dass zwischen ,Romantik‘ und ,romantisch‘ zu differenzieren sei und entscheidet sich selbst wie folgt: Ausgehend von Novalis’ bekanntem enzyklopädischen Eintrag zum Lemma „Romantik“ untersucht er die These von der Erfindung derselben als „genetisch-generierendes Schreibverfahren“ bzw.als „generisch-genetisches Stichwort in der medialen Konstellation um 1800, als schreibendes und bildendes Suchverfahren nach dem ‚ursprünglichen Sinn‘“ – oder vereinfacht gesagt: Schanze untersucht die Romantik als Lehre vom romantischen Buch, also vom Roman.

Als Leitlinie dient Schanze dabei die Prämisse, dass eine „Geschichte der Romantik, die auf das romantische Buch, seine Theorie und Praxis abhebt, nicht auf deren eigene historiographische Verfahren verzichten“ könne. Daher greift er bei der Entwicklung seiner Argumentation auf die ‚romantische Weltsicht‘ zurück und macht Friedrich Schlegels bekanntes Diktum von der Französischen Revolution, Fichtes Wissenschaftslehre und Goethes Meister als „größten Tendenzen des Zeitalters“ zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Im ersten Großkapitel „Tendenzen“ wird dann herausgearbeitet, wie Novalis und Schlegel aus den drei genannten Größen ein Programmfragment entwickeln, woraus, so die Überleitung zum Hauptteil der Monografie, die Erfindung der Romantik resultiert. Aus Tendenzen werden Doktrinen.

Auch der Hauptteil und der daran anknüpfende dritte Teil „Kein Ende“ folgen Schanzes Vorhaben, die historiografischen Verfahren der Romantik zu nutzen, und sind enzyklopädisch aufgebaut. In den Teilkapiteln „Universalpoesie“, „Mythologien“, „Rhetorik“, „Orte – Schulen“, „Museum“, „Märchen“, „Musik“ und „Politik“ finden sich von ihm erläuterte und kommentierte Zitate aus Briefen und literarischen Werken der Romantik. Dieses Verfahren bietet den Vorteil, dass Schanze seine langjährige Expertise einbringen und anhand von Belegen aufzeigen kann, wie die einzelnen Kategorien, denen nochmals Schlagworte untergeordnet sind, in der Romantik verstanden wurden. Für ein Fachpublikum, das mit den Begriffen vertraut ist, sind diese Ausführungen von großem Nutzen, insbesondere da Schanze einen starken Fokus auf das Verhältnis der Romantiker zu Goethe (und umgekehrt) legt. Zugleich birgt der enzyklopädische Ansatz einen Nachteil. Thema der Monografie ist ja nicht nur die „Erfindung der Romantik“, sondern auch der Roman als romantisches Buch. Nun sind literarische Analysen aber rar gesät und mitunter über weite Teile der Untersuchung verteilt. Schanze zieht diese jeweils heran, um kurz aufzuzeigen, wie sich bestimmte theoretische Aspekte in der praktischen Textproduktion niederschlagen. Der Autor hat hier der Darstellung der Entwicklung abstrakter Ideen im Dialog der Romantiker, dem Symphilosophieren, den Vorzug vor der ausführlichen Untersuchung literarischer Texte gegeben.

Ein Wert des Werkes und insbesondere des Hauptteils liegt aber darin, – und hier zeigt sich dann der Vorteil der enzyklopädischen Grundstruktur – dass Schanze sich auch auf die Mediengeschichte der Romantik konzentriert und in der Sekundärliteratur häufig vernachlässigte Themen in Teilkapiteln wie „Musik“ und „Museum“ oder Unterpunkten wie „Buchdruckerei“ ausführlich untersuchen und auf deren Bedeutung für die Epoche und die Begriffsbildung ‚Romantik‘ eingehen kann.

Der abschließende Teil der Untersuchung, dem Schanze den Namen „Kein Ende“ gegeben hat, widmet sich einem größeren Zeitabschnitt, der sich bereits als Romantikrezeption bzw., im Sinne Schanzes, als Nachgeschichte lesen lässt. „Eine finale Zäsur, 1828, aber kein Ende, ist mit dem Ende der ‚Goethe’schen Kunstperiode‘ und Heines Konzept einer ‚Romantischen Schule‘ anzusetzen.“ Mit ihr, so hier die These, beginnt die Nachgeschichte der Romantik. „Das enzyklopädische Stichwort ist literarisch, musikalisch, kunstgeschichtlich entgrenzt; als vager Begriff entfaltet es jedoch Wirkung bis zur Gegenwart, als Modell und als Chronotopos der bestimmten Unbestimmtheit, besetzbar als eine Art von ‘shiftingpattern‘ im Sinne der Ethnomethodologie.“

Schanze begründet diese Zäsur ausführlich mit einer Untersuchung von Heines Rolle in der Romantikrezeption und widmet sich dann in den drei Großabschnitten „Räume – Zeiten“, „Nur Literatur“ und „Romantiken – Neoromantiken“ unter anderem Cotta, Wagner und Nietzsche, bevor er sich ausgehend von Hofmannsthals Oper Der Rosenkavalier mit der Problematik des Begriffs ‚Neoromantik‘ auseinandersetzt und zugleich, anhand von deren Verfilmung, an der Mediengeschichte des Begriffs ‚Romantik‘ weiterarbeitet.

Den Abschluss der Monografie bildet das Kapitel „Aufgeklärte Romantik“, in welchem Schanze die Entwicklung des Begriffs ‚Romantik‘ und dessen Aufladung mit unterschiedlichsten Bedeutungen Revue passieren lässt und zu dem Schluss kommt:

Romantik als moderne Kunstlehre des Romans hat kein Ende wie die Kunstperiode. Sie erschöpft sich nicht in einer Romantischen Schule, auch nicht im deutschen Wesen, sondern weist, im Sinne des revolutionären »retour«, zu den Ursprüngen der Bilder, der Töne, der Sprache, der Erzählung, der Buchstaben, des gedruckten Buchs und auch der modernen technischen Medien eine europäische und weltliterarische Progressivität auf.

Innerhalb der langen Diskussion um die Bedeutung der Begriffe ,romantisch‘ und ,Romantik‘ und der 2007 durch Safranski erneut angefeuerten Debatte, inwiefern es sich bei dieser Epoche um „eine deutsche Affäre“ handele, bezieht Schanze damit eindeutig Position und geht einen sowohl für die Begriffs- als auch die Mediengeschichte der Epoche ergiebigen Weg, indem er ausgehend von der knappen, enzyklopädischen Skizzierung des Wortes durch Novalis und Schlegel aufarbeitet, wie aus einem „Stichwort“ eine der progressivsten und innovativsten Strömungen in der europäischen Geistesgeschichte entstehen konnte und aufzeigt, wie grundlegende Ideen der Epoche eben nicht nur in Form des Romans, sondern auch in den modernen Medien überlebt haben. Es bleibt der Wermutstropfen, dass Schanze aufgrund des Umfangs des Projekts manches nur skizzieren, manches nur anreißen konnte, manches letztlich weglassen musste: Aus den umfangreichen romantischen Textproduktionen kann im Rahmen der Monografie „nur eine kleine Zahl von literarischen, bildkünstlerischen und musikalischen Praxen einlässlich bearbeitet werden“. Das macht das Werk aber nicht weniger lesenswert.

Rezension verfasst von: Christian Quintes

Erfindung der Romantik