Philip Dickinson

Romanticism and Aesthetic Life in Postcolonial Writing

Palgrave Macmillan/Springer 2018

Philip Dickinsons Monographie Romanticism and Aesthetic Life in Postcolonial Writing fügt sich in eine Reihe jüngerer Forschungsbeiträge ein, die kulturelle Phänomene der Gegenwart durch Rückgriff auf die Romantik kontextualisieren. Den Hauptuntersuchungsgegenstand der auf einer an der University of Toronto entstandenen Dissertationsschrift basierenden Studie bildet die postkoloniale Literatur und Literaturtheorie, anhand derer Dickinson ein „substantial afterlife“ (S. 3) der Romantik konstatiert. Die literaturhistorische Grundannahme des Buchs ist dementsprechend, bei der Romantik handele es sich nicht um „a period“, sondern um „a period metaphor for an aesthetic language that cannot in fact be contained within the boundaries of a historical period“ (S. 181). Folgerichtig interessiert Dickinson sich nicht primär für eine postkoloniale Lektüre von Texten, die in einem engeren historischen Sinn als romantisch zu bezeichnen wären (eine Linie der Forschung, die durch Arbeiten Ian Baucoms, Alan Bewells, Tim Fulfords oder Saree Makdisis seit der Jahrtausendwende zunehmende Sichtbarkeit erlangt hat). Aus einer dezidiert zeitgenössischen Optik heraus behandelt das Buch die Romantik vornehmlich vor dem Hintergrund der „possibilities and problems it presents to the postcolonial writer“ (S. 118).

Zusammengehalten wird die Studie durch einen Fokus auf Fragen der Ästhetik, worunter Dickinson in einem auf Baumgarten zurückgehenden phänomenologischen Sinn Wahrnehmung im Allgemeinen versteht. Daraus abgeleitet ergibt sich als analytisches Grundproblem die Rekonstruktion von durch die Romantik geprägten „postcolonial engagements with phenomenological experience“ (S. 12). Als davon untrennbar erweist sich im Verlauf des Buchs die Verbindung zwischen dem Ästhetischen und dem Politischen (den von Dickinson als „aesthetic“ charakterisierten „ideologies of imperialism, whiteness, and patriarchy“ (S. 6)).

Das Buch setzt sich aus einer Einleitung und vier weiteren Kapiteln zusammen, deren Abfolge jeweils durch eine als „Countervoice“ bezeichnete Zwischenbetrachtung unterbrochen wird. Die sich wiederholende Gegenüberstellung von Kapitel und „Countervoice“ kontrastiert jeweils affirmative Bezugnahmen auf romantisches Gedankengut mit solchen, die negative, kritische oder ironische Züge aufweisen. Ihrem dekonstruktivistischen Grundmodus gemäß insistiert die Monographie stets auf der Unabgeschlossenheit und gegenseitigen Durchdringung dieser Kategorien. Von Heidegger und Adorno über de Man, Derrida und Deleuze zu Nancy, Rancière und Agamben bedient sich Dickinson eines breiten Spektrums philosophischer und theoretischer Vokabulare, die ihrerseits oft selbst von einer Auseinandersetzung mit romantischem Denken und Schreiben geprägt sind. Die literaturwissenschaftliche Prosa, die aus diesen Theorielektüren resultiert, scheint nicht immer geeignet, die komplexe Materie des Buchs analytisch transparent zu machen. Stilistisch wie methodisch dem Vorbild der Dekonstruktion folgend argumentiert Dickinson weitgehend formalistisch und textimmanent, während die von Figuren wie Edward Said vertretene, auf die Beschreibung von Wechselwirkungen zwischen Politik und Kultur abzielende Spielart der postkolonialen Literaturwissenschaft (mit ihrem der Tendenz nach zugänglicherem Argumentationsduktus) nur am Rande als Referenzpunkt aufscheint. (Entsprechend konsequent ist Dickinsons Entscheidung, das Buch mit einem Kapitel zur de Man-Schülerin und Derrida-Übersetzerin Gayatri Spivak zu beschließen.)

Die durch eine oft dichte Theorieprosa hervorscheinenden größeren Thesen des Buchs lassen sich am besten durch einen Blick auf die in ihm präsentierten Argumentationslinien nachzeichnen. So beschäftigt Dickinson sich im auf die Einleitung folgenden zweiten Kapitel zunächst mit Derek Walcotts Langgedicht Another Life (1973), das er als intertextuellen Dialog mit Wordsworths Versautobiographie The Prelude liest. Walcotts auf das Vorbild Wordsworth zurückgehende Nacherzählung des eigenen Bildungsgangs steht gleichzeitig programmatisch für die Beanspruchung eines eigenen unverstellten Zugangs zur Welt, und damit verbunden eines von Tradition und Konvention unabhängigen lyrischen Schreibens. Im Anschluss an diese Beobachtung zeigt Dickinson auf, wie Walcott mit der Unerreichbarkeit dieses von Geoffrey Hartman als „unmediated vision“ bezeichneten romantischen Ideals umgeht. Die über das Poetische hinausweisenden politischen Implikationen dieses Gedankens – das Autonomiestreben des postkolonialen Subjekts – expliziert das Kapitel daraufhin anhand einiger kürzerer Gedichte Walcotts. Da Dickinson an dessen Lyrik dennoch letztlich „a dramatic remove from languages of collective solidarity and macropolitical emancipation“ (S. 61) missfällt, ergänzt er das Kapitel um eine zehnseitige „Countervoice“ zur antikolonialen Ästhetik von In the Castle of My Skin, dem 1953 erschienenen Debütroman des aus Barbados stammenden George Lamming.

Im drittel Kapitel arbeitet Dickinson anhand von V. S. Naipauls The Enigma of Arrival (1987) die Konturen eines von Baucom als „post-imperial picturesque“ (S. 78) beschriebenen Programms heraus, das sich im Versuch einer Abgrenzung des Ästhetischen vom Politischen äußert, gleichzeitig aber auch die Unmöglichkeit einer solchen Dehistorisierung mitreflektiert. Damit grenzt Dickinson sich von einer weiter verbreiteten Interpretation ab, die in Naipauls Roman und seinem vermeintlich nostalgischen Rückgriff auf von der Romantik zentral mitgeprägte Bilder der englischen Landschaftsidylle ein eskapistisches oder gar reaktionäres Element sieht. Der Analyse von Naipauls letzten Endes dennoch durch einen affirmativen Romantikbezug und einen „reconciliatory lyricism“ (S. 142) charakterisierten Poetik stellt Dickinson in der dieses Kapitel ergänzenden „Countervoice“ Anita Desais zehn Jahre vor The Enigma of Arrival erschienenen Roman Fire on the Mountain entgegen, aus dessen als negativ und ironisch beschriebenen Grundhaltung ein „refusal of the consolation of Romantic form“ (S. 108) hergeleitet wird.

Das mit dem Titel „White Writing and the Regime of the Sensory“ überschriebene vierte Kapitel ist zwei südafrikanischen Autoren gewidmet. Hier werden zunächst ausgewählte Texte des Lyrikers Stephen Watson auf ihre oft expliziten Anleihen bei der Naturdichtung der britischen Romantik hin beleuchtet. Dickinson charakterisiert dabei die „overly stable and composed poetics“ (S. 126) Watsons als ein solipsistisches, die politische Realität der Apartheid ausklammerndes Programm, dessen ungebrochene Romantikaffinität Watsons Gedichte paradoxerweise als unromantisch markierten. Die „Countervoice“ zu diesem Kapitel bildet eine Interpretation von J. M. Coetzees Roman Disgrace (1999), dessen Protagonist – ein mit zunehmender Resignation Wordsworth und Byron unterrichtender Literaturprofessor – Dickinson zufolge das „estrangement of European aesthetics within post-apartheid South African life“ (S. 146) symbolisiere.

Das fünfte Kapitel erweitert den bis hierhin auf Roman und Lyrik zentrierten Fokus des Buchs durch einen abschließenden Blick auf postkoloniale Theorie als eigene Primärtextgattung. Im Mittelpunkt steht hier eine Reihe von Texten Spivaks, deren treffend als „a deconstruction retooled by the ethico-political demands of the postcolonial“ (S. 165) beschriebener Ansatz in die Nähe einer Romantik gestellt wird, die sich zentral um „the failure of mediation“ dreht (S. 171).

So vielseitig sich in diesen Analysen Dickinsons postkoloniales Korpus darstellt, so eng begrenzt ist andererseits die textuelle Grundlage, auf der er Aussagen über als universal postulierte Charakteristiken romantischen Schreibens trifft. Die besonders im Hinblick auf das Thema Ästhetik zentrale deutsche (Früh-)Romantik wird bloß am Rande angeschnitten. Selbst innerhalb des in den vergangenen Jahrzehnten beträchtlich erweiterten und diversifizierten Kanons der britischen Romantik verweilt die Studie stets auf den gleichen erwartbaren Referenzpunkten (etwa Wordsworths Prelude, sein ebenso oft anthologisiertes „Tintern Abbey“ oder Shelleys „Mont Blanc“). Blake, Keats und Byron – von marginaleren Figuren ganz zu schweigen – finden bloß im Vorübergehen Erwähnung und auch die theoretisch ambitionierten Schriften Coleridges bleiben außen vor, obwohl sich gerade aus ihnen im Rahmen des Buchs ein philologisch und historisch informierteres Bild romantischer Ästhetikvorstellungen hätte herauspräparieren lassen.

Romanticism and Aesthetic Life in Postcolonial Writing liefert daher weniger einen Beitrag zur klassischen Romantikforschung als einen – im Ganzen durchaus gelungenen – Neuansatz in der postkolonialen Literaturwissenschaft. Der Kerngedanke dieses Zugriffs wird bereits im einleitenden Kapitel des Buchs entwickelt, in dem Dickinson sich vom lange vorherrschenden, mit dem Slogan „the empire writes back“ zusammenzufassenden Paradigma distanziert, postkolonialen Autorinnen und Autoren sei es vor allem um die Ablehnung eines kulturell dominierenden westlichen Kanons zu tun. Anhand einer Reihe klug gewählter Fallstudien gelingt es der Monographie, dieser Vorstellung ein nuancierteres Bild postkolonialer Bezugnahmen auf die Romantik zu zeichnen. Der „de-authorization of a colonial canon“ wird gleichzeitig eine „powerful reinscription of its aura“ (S. 22) entgegengesetzt, die sich weniger aus offen inszenierten Abgrenzungsgesten als aus der ästhetischen Tiefenstruktur der behandelten Texte herauskristallisiert. Dickinsons Buch ist besonders dort stark, wo es den Spannungen zwischen diesen Positionen nachspürt.

Rezension verfasst von: Tim Sommer

Romanticism and Aesthetic Life in Postcolonial Writing