Cordula Grewe

The Arabesque from Kant to Comics

Routledge 2021

Cordula Grewe hat ein Buch über die romantische Arabeske geschrieben, das behauptet, selbst eine Arabeske zu sein. Was damit gemeint ist, erläutert die Autorin auf den ersten Seiten. Der arabeske Charakter sei bedingt durch die „returns, recurrences, repetitions“ (S. 5), die das Werk durchziehen würden. Es habe den Charakter eines Tagebuches, beziehungsweise präziser: eines Tagebuches, das eine „associative journey“ (ebd.) festhalte. Ihren Höhepunkt findet Grewes Selbstdeutung des Buches als Arabeske schließlich in der Aussage, die Publikation sei „not a straightforward academic affair but an example of itself“ (ebd.). Ist dies der Punkt, an dem der wissenschaftliche Rezensent sich vornehm zurückzuziehen und das Buch an den Kollegen oder die Kollegin aus dem Feuilleton weiterzureichen hat?

Eher nicht. Im Falle von The Arabesque from Kant to Comics haben wir es nämlich mit einer ziemlich wissenschaftlichen Angelegenheit zu tun. So erfüllt das Werk typische Merkmale akademischer Publikationen. Es ist – um lediglich drei Charakteristika zu nennen – argumentationsbasiert, thesenorientiert und arbeitet mit einer Belegstruktur. Zweifellos: Grewes Buch verfügt über Merkmale, die man zumindest nach den Maßstäben der deutschsprachigen akademischen Debatte als eher ungewöhnlich beschreiben kann. Es greift in nicht wenigen Passagen auf ein metaphorisches Sprachregister zurück (etwa „In the ruins of traditional patronage, a new tyrant, even more fickle, raised its ugly head: fashion.“; S. 14). Zudem entwirft die Autorin an manchen Stellen kurze Szenen, welche die Leser in potenzielle Rezeptionssituationen eintauchen lassen sollen („Let’s imagine a cold winter day, somewhere in Germany. A group of friends has gathered around a crackling fireplace […]“; S. 75). Aus dieser rhetorischen Unkonventionalität folgt jedoch nicht, dass das Label der ‚Wissenschaftlichkeit‘ unzureichend ist. Selbiges gilt mit Blick auf die von Grewe eingangs angeführten vielfältigen Wiederholungs- und Rückbezug-Strukturen. The Arabesque from Kant to Comics mag also mit teilweise ungewöhnlichen Zügen aufwarten; deswegen ist das Buch aber noch kein ‚example of itself‘ im engeren Sinne.

Die Rekonstruktion des Selbstverständnisses ist nicht nur relevant, um zu klären, mit welcher Art von Publikation wir es zu tun haben. Sie bereitet gleichzeitig den Weg, um zu zentralen inhaltlichen Überlegungen Grewes vorzustoßen. So spiegelt sich in ihrer Charakterisierung des Werkes die für die Verfasserin zentrale Auffassung vom Doppelcharakter der Arabeske. Sie unterscheidet zwischen der Arabeske als Motiv („visual“; S. 16) und der Arabeske als Konzept oder Verfahren („conceptual“; S. 19). Dabei handelt es sich um zwei Erscheinungsweisen, die zusammen vorliegen können, aber nicht müssen. Diese Differenzierung entwickelt Grewe aus demjenigen Untersuchungsobjekt, das im Zentrum ihres Buches steht: der romantischen Arabeske. Wir haben es bei der vorliegenden Publikation mit einem Werk zu tun, das sich – im Bewusstsein für die epochenübergreifende und globale Geschichte der Arabeske – auf eine spezifische Erscheinungsweise konzentriert. Auf eben diejenige, die laut Verfasserin von den Frühromantikern entwickelt wurde und bis in die Gegenwart fortwirkt. Die Charakteristika der romantischen Spielart der Arabeske sieht Grewe unter anderem in ihrer (potenziell unendlichen) Offenheit, ihrer Selbstbezüglichkeit, darin, dass die Qualität des Prozessualen hervorgehoben wird sowie in dem Umstand, dass das arabeske Verfahren Einheit ohne Einheitlichkeit stiftet. Darüber hinaus wird Grewes Auffassung nach die Arabeske von den Frühromantikern – in Reaktion auf zeitgenössische Debatten etwa um den Status des Ornamentes oder die Bedeutung der Allegorie – ihrer Rolle als niederes Beiwerk enthoben. Bei der romantischen Arabeske handelt es sich laut der Autorin um eine Form, mit der über erste und letzte Fragen verhandelt wird.

Diese konzeptuelle Perspektive auf die doppelgesichtige romantische Arabeske verbindet sich in The Arabesque from Kant to Comics mit einem kunsthistorischen Erkenntnisinteresse. So widmet sich das Buch insbesondere der Bildkunst im deutschsprachigen Raum zwischen circa 1750 und 1900. Diese Periode wird von Grewe in ein „Romantic age“ (u. a. S. 48) und die sich anschließende Zeit des Biedermeiers unterteilt, wobei die erste Phase ungefähr vom Beginn der Französischen Revolution bis in die 1830er Jahre andauert. Auf der Basis von Einzelfallstudien, die von Philipp Otto Runges Zeiten-Projekt der Nullerjahre des 19. Jahrhunderts bis zu Wilhelm Buschs Bildergeschichten der 1860er reichen, vollzieht die Verfasserin das Schicksal der Arabeske romantischer Spielart nach. Zwei Thesen erscheinen in diesem Zusammenhang grundlegend. Zum einen: Die romantischen Schriftsteller und Künstler reagieren mit der Entwicklung ihrer Variante der Arabeske auf eine als krisenhaft erfahrene Moderne. Diese Krisenhaftigkeit wird von Grewe dabei insbesondere auf die drei Bereiche (metaphysische) Sinnstiftung, künstlerische Gestaltung und druckgraphische Reproduktionstechniken bezogen. Zum anderen: Die (künstlerischen) Einstellungen im romantischen Zeitalter und der Epoche des Biedermeiers stehen im Kontrast zueinander. Die Weiternutzung der Arabeske romantischer Prägung findet also unter stark veränderten Vorzeichen statt. So stehe unter anderem dem „Romantic idealism“ (im Sinne einer Utopie-Freudigkeit) ein „Biedermeier realism“ (S. 170) entgegen. Verallgemeinernd ausgedrückt interessiert sich The Arabesque from Kant to Comics also für die romantische Arabeske im Horizont einer Kunst- und Kulturgeschichte der beginnenden Moderne.

Wie lässt sich ausgehend von dieser Feststellung das methodische Profil von Grewes Arbeit charakterisieren? Der angeführte ‚kulturhistorische Horizont‘ der Publikation zeigt sich darin, dass die Autorin nicht nur auf die Felder der Bildkunst und Literatur zu sprechen kommt, sondern ihre Ausführungen durch Bezugnahmen auf zeitgleiche Entwicklungen in der Kunstphilosophie, aber auch in der Rechts- und Wirtschaftsgeschichte anreichert. Grewe geht also weniger von einem Archipel- als von einem Delta-Modell von Kultur aus. Die hier greifbar werdende Variabilität findet sich auch mit Blick auf die untersuchten künstlerischen Medien. So widmet sich die Publikation u.a. Texten, Büchern (als Designobjekten), Druckgraphiken, Zeichnungen und Wandmalereien. Dabei wird ein Interesse an medienspezifischen Gestaltungsqualitäten deutlich. Diese Bandbreite bildet gewissermaßen das Pendant zu einem anderen methodischen Spezifikum von Grewes Publikation: Sie ist Fallstudien-basiert. Die Argumentation entwickelt sich – grundsätzlich einer chronologischen Logik folgend – entlang von Einzelfällen, wie z. B. dem Künstlerroman Der moderne Vasari, der 1854 vom Doyen der Düsseldorfer Kunstszene, Wilhelm von Schadow, veröffentlicht wurde. Dieses kontextorientiert-rekonstruierende Interesse verbindet sich im Falle von Grewes Publikation punktuell mit konzeptuellen sowie kunstkritischen Thesen. So etwa, wenn sich die Autorin über die prinzipielle Unmöglichkeit äußert, die Qualitäten der literarischen Arabeske eins zu eins in die Bildkünste zu übertragen (S. 84). Oder aber wenn sie Runges Zeiten-Projekt als gescheitert wertet (S. 58).

Mit ihrer Publikation schreibt Grewe grundsätzlich eine Tradition der – insbesondere im deutschsprachigen Raum – verbreiteten Forschung zur (romantischen) Arabeske weiter. Generell zeichnet sich diese Tradition u. a. durch das Interesse einer engen Verzahnung von Kunst, Literatur und Kunstphilosophie aus. Ein kulturhistorischer Ansatz, den Grewe durch die Seitenblicke in Wirtschafts- und Rechtsgeschichte variiert. Ähnliches gilt mit Blick auf die Untersuchungsobjekte. Neben konventionellen oder zumindest erwartbaren Gegenständen wie Runges Zeiten-Zyklus oder Moritz von Schwinds Eine Symphonie rücken etwa mit von Schadows Vasari oder Buschs Max und Moritz Werke in den Fokus, denen bisher – und wie Grewe zeigt – zu Unrecht wenig Aufmerksamkeit zukam. In dieser Weitung des Blickes über Zeit- und Mediengrenzen hinweg ist das Buch insbesondere der literaturwissenschaftlichen Forschung zur Arabeske verpflichtet, die deren konzeptuelle Seite deutlich konsequenter produktiv macht als es die kunst- beziehungsweise bildwissenschaftliche Zunft in der Regel tut. Als im Vergleich mit der Forschung eher ungewöhnlich präsentiert sich The Arabesque from Kant to Comics also nicht nur mit Blick auf die eingangs skizzierten rhetorischen Merkmale, sondern auch hinsichtlich konzeptueller und kunstkritischer Interessen (wenngleich diesen nur punktuell nachgegangen wird).

In einer Hinsicht erweist sich Grewes Buch – auch über die Arabeske-Forschung hinaus – allerdings als äußerst traditionell: in der Art und Weise, wie Gegenbilder zum eigenen wissenschaftlichen Arbeiten aufgebaut werden. Das gilt zunächst mit Blick auf die Betonung der Unkonventionalität des eigenen Ansatzes. So präsentiert die Verfasserin etwa das Zusammenbringen von Immanuel Kants Philosophie und Eugen Napoleon Neureuthers folkloristischen Lithographien als stark kontraintuitiv („far-fetched, if not outright absurd“; S. 75). Unabhängig von dem Umstand, ob es bereits Studien gibt, die Werke genau dieser beiden Autoren zusammenbringen, erscheint diese Art von Verknüpfung in Zeiten von Cultural turn und Bildwissenschaft beziehungsweise Visual Studies längst nicht so ungewöhnlich, wie Grewe sie hier präsentiert.

Handelt es sich bei solchen Fällen vielleicht eher um Kleinigkeiten, gilt dies nicht, wenn es um harsche Kritik an der bestehenden Forschung geht. So verweist Grewe in dem kurzen methodischen Abschnitt am Beginn ihrer Arbeit (S. 6f.) zurecht darauf, dass manche der von ihr untersuchten Objekte bisher in der Forschung keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen. Diese Nicht-Bearbeitung führt die Autorin zurück auf den Umstand, dass diese Gegenstände in der Forschungs-Community als der Erschließung unwürdig gelten („the wasteland of subjects deemed unworthy of study“, S. 6). Vergebens sucht man nach Belegen für diese stark moralisierende Kritik. Ebenso wenig stellt Grewe fachgeschichtliche Überlegungen dazu an, dass die bild- und kulturwissenschaftlichen Turns zu einer extremen Erweiterung des Gegenstandsfeldes geführt haben, wodurch sich eine erhebliche Konkurrenz zwischen potenziellen Untersuchungsobjekten ergibt. Der Schluss von ‚nicht bearbeitet‘ auf ‚der Bearbeitung unwürdig‘ ist also keineswegs so notwendig, wie von der Verfasserin präsentiert.

Diesem Schwachpunkt von The Arabesque from Kant to Comics stehen die deutlichen Stärken der Monografie gegenüber. Dabei ist zunächst die Fähigkeit Grewes zur rhetorischen wie inhaltlichen Pointierung zu nennen. Diese führt nicht nur zu einer hohen Eingängigkeit der Lektüre. Ebenso bringt sie Ordnung in das Geflecht der sehr unterschiedlichen Medien und Kontexte und lässt darüber hinaus einen roten Faden zwischen den Einzelstudien entstehen. Ferner ermöglicht es die inhaltliche Pointierung – im Sinne einer produktiven Verkürzung – überhaupt erst, einen so breiten zeitlichen Bogen zu schlagen. Dergestalt wird sichtbar, wie stark Akteure wie von Schadow und Busch dem Erbe der romantischen Arabeske verpflichtet sind, auch wenn sie es nicht einfach ungebrochen fortführen.

Als zweite Stärke von Grewes Studie ist die bereits thematisierte Variabilität anzuführen. Dies gilt zum einen in Bezug auf die unterschiedlichen Medien, die – über unterschiedliche Formate und Status hinweg – in den Blick geraten. Dabei werden die Untersuchungsobjekte nicht als homogene (Computerbildschirm-)Masse behandelt, sondern in ihren gestalterischen und materiellen Eigenheiten ernst genommen. Bücher sind in Grewes Publikation immer mehr als nur gedruckte Texte. Die Stärke der Variabilität lässt sich darüber hinaus in einer zweiten Hinsicht bestimmen. Nämlich insofern The Arabesque from Kant to Comics nicht von einem autonom-abgeschotteten Bereich ‚Kunst‘ ausgeht. Die Qualität des Buches liegt dabei darin, dass es eben nicht nur nach rechts in den Bereich der Kunstphilosophie und Drucktechnikgeschichte, sondern auch nach links in die Bereiche Rechts- und Wirtschaftsgeschichte blickt. Sein Anspruch ist in diesem Zusammenhang immer auch, Wechselverhältnisse zwischen den genannten Feldern aufzuzeigen. So etwa, wenn es um die Herausbildung eines bestimmten Autorschafts- und Werkkonzeptes geht (S. 14f.). Es ist insbesondere diese Variabilität, oder anders gesagt: der im positiven Sinne kaleidoskopische Blick, den Grewe auf die Geschichte der romantischen Arabeske wirft, der The Arabesque from Kant to Comics zu einer lohnenden Lektüre macht.

 

Die Rezension ist unter dem folgenden Link dauerhaft abrufbar: https://doi.org/10.22032/dbt.59650

The Arabesque from Kant to Comics