Sigmund Jakob-Michael Stephan und Ralf Simon , 04.06.2025

Ein Wort zu Jean Paul

Ein Gespräch mit Sigmund Jakob-Michael Stephan und Ralf Simon über das Verhältnis Jean Pauls zur historischen Romantik. Teil I

Sigmund Jakob-Michael Stephan ist Doktorand der Friedrich-Schiller-Universität Jena und ehemaliger Kollegiat des Graduiertenkollegs Modell Romantik. Er forscht zur Komik der historischen Romantik. Prof. Dr. Ralf Simon hat eine Professur für neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Basel und veröffentlichte zuletzt eine Theorie der Prosa sowie einen Kommentar zu Jean Pauls Vorschule der Ästhetik. Das Gespräch anlässlich des 250. Todesjahres von Jean Paul wurde per Email zwischen dem 13.01. und 07.02.2025 geführt.

 

JS: Lieber Herr Simon, ich möchte mich bei Ihnen bedanken, dass Sie sich dazu bereit erklärt haben, das 250. Todesjahr von Jean Paul zur Gelegenheit zu nehmen, mit mir das Verhältnis des Autors zur historischen Romantik zu diskutieren. Ob Jean Paul ein naiver, selbstironischer, ein besonders modellhafter, überhaupt kein Romantiker oder gar ein Anti-Romantiker oder alles davon ein wenig und zugleich ist – Fragen wie diese werden uns beschäftigen.
Ich kann mir gut vorstellen, dass Jean Paul ein solch gelehrtes Gedenken an ihn als literarischer Stoff gereizt hätte. Zu Beginn unseres Austausches würde mich interessieren, was Sie persönlich an Jean Paul fasziniert. In Ihrer 2022 erschienenen Theorie der Prosa scheint er mir ein wichtiger Referenzpunkt für Sie zu sein, und vor wenigen Wochen haben Sie den ersten (mir bekannten) Kommentarband zur Vorschule der Ästhetik vorgelegt. Was haben Sie durch Jean Paul über Literatur gelernt?

RS: Ich bin zu Beginn meines Studiums der Germanistik auf Jean Paul gestoßen, anlässlich meines ersten Proseminars, das ich bei Kurt Wölfel, dem langjährigen Vorsitzenden der Jean-Paul-Gesellschaft, belegt habe. Meine Studienwahl erklärt sich aus meiner frühen Faszination für Arno Schmidt. Ich habe dann schnell verstanden, dass Jean Paul zu derselben Sorte von Literatur gehört. Also war ich leicht davon zu überzeugen, mich an die Lektüre seiner sechs Romane zu setzen. Ich lese nun seit 40 Jahren Jean Paul, ich schreibe über ihn, ich unterrichte ihn, ich halte ihn für den sprachmächtigsten und wichtigsten Prosaautor um 1800. Sein Werk ist von überragender literarischer Qualität, von großer Komplexität und es ist im Vergleich zu den großen Autoren um 1800 in entscheidenden Teilen seiner Produktion kaum je gelesen oder interpretiert worden.

Ich habe die letzten Jahre eine Theorie der avancierten Prosa entwickelt, wozu Autoren wie Jean Paul, Arno Schmidt, James Joyce, Oswald Egger, Michel Lenz, Hans Wollschläger entscheidende Stichwortgeber sind. Zunächst sind einige Unterscheidungen wichtig. Der gegenwärtige Interviewtext ist auch Prosa, aber keine avancierte, sondern simple Gebrauchsprosa. Würde man mit literarischem Anspruch schreiben, wäre zunächst die Kunst der Prosa die dafür zuständige Theorieadresse. Nach dem sogenannten Ende der Rhetorik im 18. Jahrhundert hat sich im 19. Jahrhundert eine Stillehre der gediegenen Prosakunst etabliert. Aber auch diese Dimension von Prosa meine ich nicht. Ich nenne avancierte Prosa eine solche Art der poetischen Sprache, in der ein Exzess der wilden Semiose stattfindet, sodass alle Verfahrensweisen poetischer Sprachmodellierung im dichtesten Zugleich und in höchster Komplexität angewandt werden, bei gleichzeitigem Wissen des Textes um diesen Umstand, also im Modus einer permanenten selbstbezüglichen Poetik. Meine Theorie versucht also Komplexität und Extension zusammenzudenken und die avancierte Prosa als diejenige poetische Schreibweise zu definieren, die eigentlich zu konsultieren wäre, wenn man an den grundlegenden Fragen der allgemeinen Poetik interessiert ist. Und hier ist Jean Paul einer der Autoren, an dem sich diese Beobachtungen exemplifizieren lassen.
In einer Sichtweise, in der avancierte Prosa im Zentrum steht, stellt sich die Frühromantik nur als eine kleine Fußnote dar. Hohes poetologisches Bewusstsein, Aktivierung aller semiotischen Register, hoch intelligente poetologische Steuerungen des poetischen Procederes: Alles dies findet man schon in der antiken Tradition der Satire, bei einem Autor wie Fischart (Geschichtsklitterung), in vielen Texten der humoristischen Literatur (L. Sterne usw.) usw.

Meine Beschäftigung mit Jean Paul ist im Laufe der Jahrzehnte zunehmend theoretisch geworden. Man kann die Beschreibung seiner Texte zunächst quasi phänomenologisch betreiben. Aber wenn man dabei etwa feststellt, dass sich bei Jean Paul alle drei Epistemologien Foucaults finden – barocke, aufklärerische, transzendentale Episteme –, dann wird eine theoretische Initiative unabweisbar. Denn dass ein Autor um 1800 diejenigen Strukturen allesamt in seinem Werk vereinigt, von deren historischem Nacheinander Foucault ausgeht, führt zu Theorienotwendigkeiten. So wird Jean Paul also geradezu zu einer Galionsfigur der avancierten Prosa.

JS: Wenn man auf die Forschungsgeschichte der letzten Jahrzehnte blickt, sieht man, dass die Frühromantik oftmals als äußerst innovativ gedeutet worden ist. Stark vereinfachend formuliert wurde die Jenaer Romantik, z. B. durch Manfred Frank oder Winfried Menninghaus, als eine selbstreferentielle Literatur wahrgenommen, die der postmodernen Ästhetik avant la lettre entgegenkommt.
Sie haben nun den Frühromantiker:innen immerhin eine „Fußnote“ in der Geschichte der „avancierten Prosa“ eingeräumt. In jedem Fall liegt es auf der Hand, stellt man Texte wie Tiecks Blonden Eckbert oder Novalis’ Heinrich von Ofterdingen Jean Pauls Prosa gegenüber, dass die frühromantischen Texte sich doch von Jean Pauls experimentell-humoristischer Prosa sowohl in stilistischer als auch inhaltlicher Hinsicht unterscheiden. Gleichwohl bezieht sich F. Schlegel dezidiert auf Jean Paul. In seinen Briefen über den Roman nennt er Jean Pauls Werke die „einzigen romantischen Erzeugnisse unsers unromantischen Zeitalters“. Wo sehen Sie die entscheidenden Differenzpunkte zwischen Jean Paul und der Jenaer Frühromantik?

RS: Die theoretischen Anstrengungen von Manfred Frank und Winfried Menninghaus sind entscheidend und definieren selbst nach inzwischen 30 Jahren den Stand der Dinge in Bezug auf das Theoriedesign der Frühromantik. Novalis und Schlegel als Dekonstruktivisten avant la lettre zu deuten, war ein genialer Coup. Die Frage, die ein Literaturwissenschaftler sich stellen muss, liegt allerdings durchaus neben der theoretischen Rekonstruktion. Sie lautet: Zieht eine hochkomplexe und in der Sache sehr einleuchtende Theorie auch eine gute Dichtung nach sich? Liest man Novalis’ Ofterdingen, dann erscheint der Stufengang des Romanhelden im ersten Teil des Romans als Abfolge allegorischer Bildungserfahrungen in Bezug auf Reflexionsvorgänge, während der zweite, fragmentarisch gebliebene Teil überhaupt nur dann entzifferbar wird, wenn man ihn als Allegorie der Theorieverhältnisse versteht. Das ist nach meinem Urteil keine wirklich starke Literatur, es ist eher eine blasse Vergegenwärtigung von starker Theorie.

Tiecks Märchen sind ein anderer Fall. Tieck war kein bedeutender Theoretiker, seine literarische Einbildungskraft hat gegenüber Novalis aber eine andere Prägnanz und einen anderen Witz. Natürlich ist in den Blonden Eckbert das Wissen um die Selbstverhältnisse der Reflexion eingegangen, aber literarisch reüssiert der Text deshalb, weil er eine virtuose Inszenierung immer wieder neuformulierter, bei genauem Blick aber erstaunlich weniger Semanteme ist. Man kann das Märchen auch als eine dichte Trauma-Konstellation lesen, ohne dass man mit der frühromantischen Dekonstruktion arbeiten müsste.

Erstes Fazit also: Novalis’ Ofterdingen ist ein ganz anderer Fall als Tiecks Blonder Eckbert und beider Verhältnis zur frühromantischen Theoriebildung ist wiederum unterschiedlicher Art. Ich möchte dies ausweiten. Gerade dort, wo romantische Literatur besonders überzeugend ist, etwa bei Brentano, der Prosa von Achim von Arnim, später in der Lyrik von Joseph von Eichendorff, ist sie dies gerade durch die relative Ferne zur frühromantischen Theoriebildung. Interessanterweise ist Jean Pauls Prosa wesentlich ebenfalls durch Selbstreflexion geprägt, allerdings ohne die Theorieanstrengungen der Frühromantik mitgegangen zu sein. Das Fazit, dass aus diesen knappen Beobachtung zu ziehen ist, dürfte deutlich geworden sein: Die Frage der literarischen Qualität von stark selbstreferentieller Literatur und die Frage ihrer Genese ist nicht auf eine Theoriegenese zurückzuführen. Dies befreit beide Seiten voneinander. Man kann die Frühromantik philosophisch als starke Theoriebildung schätzen und gleichwohl eine andere Literatur vorziehen.

Zweitens: Angenommen, man würde Frühromantik und Jean Paul wie zwei klar voneinander getrennte Blöcke wahrnehmen wollen, dann ließe sich durchaus ein charakteristischer Unterschied feststellen. Jean Paul ist ein Dualist, die Frühromantik als idealistische Denkanstrengung folgt der Epistemologie des Monismus. Entsprechend schreibt Jean Paul humoristische Literatur, während die Frühromantik bekanntlich die Ironie bevorzugt. Jean Paul steht noch stärker in der Erkenntnistheorie des 18. Jahrhunderts.  Ihn treibt die Frage nach dem commercium mentis et corporis um, also die verzweifelte Suche nach einer Verbindung von Körper und Geist bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung ihres prinzipiellen Geschiedenseins. Daraus erwachsen die literarischen Szenarien unglücklicher Geist-Körper-Verhältnisse ebenso wie die emphatischen Erlösungs- und Verschmelzungsfantasien. Jean Paul ist die Theoriebewegung von Kants transzendentalen Idealismus hin zum absoluten Idealismus in der Folge Fichte – Schelling – Hegel nicht mitgegangen.

Folgt man dieser knappen Charakteristik, dann wird sofort deutlich: Beide, Jean Paul und die Frühromantik, arbeiten sich an Kant ab und bedenken die Folgen. Das ist ihre Nähe. Aber während die Frühromantik dies stark theoretisch tut und die Literatur dabei blass bleibt, ist es bei Jean Paul genau umgekehrt. Würde man aus dem Kontext der anthropologischen Debatte heraus argumentieren, so müsste man wohl sagen, dass der Humorist die Tatsache, dass ein anthropologisches commercium nicht manifest zu machen ist, in die Permanenz sowohl der Verzweiflung wie auch des Lachens übersetzt. Seine andauernden grotesken Weltlagen, sein Schiefwerden des Selbstbezuges, seine gewollte Unangemessenheit der Rede an die Situation: Alles dies indiziert, dass der Humorist anstelle eines ausbleibenden plausiblen commerciums lauter falsche, groteske, satirische und dysfunktionale Versionen des commerciums erfindet und aufs Welttheater stellt – eine andauernde Beschämung des anthropologischen Projektes und zugleich seine andauernde Befragung. Der gemeinsame Ausgangspunkt der Frühromantik und Jean Pauls beim Gedanken der Selbstreflexion führt die Frühromantik in das Gebiet der Spekulation, Jean Paul aber zurück zum Körper und dessen Endlichkeit – weil Jean Paul Dualist ist, die Frühromantik aber spekulativ-monistisch denkt.

JS: Ihre Abgrenzung zwischen Jean Paul und der Frühromantik leuchtet mir ein. Wenn ich auch in Tiecks Komödien, besonders im Zerbino, doch eine starke Aktualisierung der frühromantischen Dekonstruktion mit literarischen Mitteln erkennen würde. Jean Paul liest dementsprechend in der Vorschule die berühmte Szene, in der Prinz Zerbino vergeblich versucht, das Stück, in dem er gefangen ist, gewissermaßen zurückzuspulen, als literarisches Beispiel für den Humor. Ich würde daher gerne das Verhältnis zwischen Humor und romantischer Ironie diskutieren, da es mir scheint, dass Jean Paul und die Jenaer Romantik sich dort sehr nahekommen. Jean Pauls Humor liegt die Einsicht zugrunde, dass sich der Mensch aufgrund seiner körperlich-geistigen Doppelnatur misslingend zum Unendlichen verhält, da er es nicht vermag, in seiner Endlichkeit die ihm genuine Idee des Unendlichen einzuholen. Die romantische Ironie ist nicht allzu weit von Jean Pauls Anthropologie entfernt.

Die frühromantische Philosophie geht davon aus, dass der Mensch sich nur ex negativo im Scheitern dem Absoluten annähern kann, in dem Endliches und Unendliches miteinander vermittelt sind. Wenn auch Jean Pauls Humor die epistemologisch prekäre Situation des Menschen stärker als die Jenaer Romantik im Komischen ausagiert, scheinen doch Humor und Ironie das gemeinsame Anliegen zu teilen, den Verstand an seine Grenzen zu führen. Wäre dann doch Novalis’ Aussage, dass „Schlegels Ironie [. . .] echter Humor zu sein [scheint]“ (zit. n. Preisedanz 72), etwas abzugewinnen?

RS: Man kann die frühromantische Ironie aus der Theorie des absoluten Idealismus ableiten. Dass das Absolute nie in Präsenz treten kann, sich geradezu in dem Maße entzieht, in dem die Denkanstrengung sich ihr anzunähern versucht, führt in der Tat in eine Bewegung, die man, bewusst anachronistisch, als Dekonstruktion benennen könnte. Die kurze Charakterisierung lässt aber eines erkennen: Die Rhythmik von Annäherung und Entzug, von Präsentifizierungsanstrengung und Negation ist eine, die im Immanenzraum der Denkbewegung selbst verbleibt. Der Ironiker ist und bleibt der Herr seiner intellektuellen Bühne, er bestimmt selbst darüber, wie er und aus welchen Gründen er die Annäherung an das Absolute entweder forciert oder negiert. Die Negation ergibt sich zwar denknotwendig, also nicht durch subjektive Willkür, aber dennoch ist der Ironiker insofern Herr des Verfahrens, als er mit jedem einzelnen Schritt seine Gedankenbewegung entwirft und begründet. Ironie ist eine Geste der Souveränität.

Anders ist es mit dem Humor im Sinne von Jean Paul bestellt. Vorauszuschicken ist, dass heutzutage jemandem Humor bescheinigt wird, der eine ausgleichende Gemütlichkeit in der Form beschwichtigenden Lächelns sein Eigen nennt. Diese Bedeutung hat der Humorbegriff im Laufe des 19. Jahrhunderts angenommen. Bleibt man bei Jean Paul und im 18. Jahrhundert, so ist der Humor scharf, disruptiv, verzweifelt. Instruktiv ist Jean Pauls Herleitung des Humors aus der Theorie des Lächerlichen, so wie er sie in der Vorschule der Ästhetik skizziert. Das Lächerliche des Aristoteles bestand noch in dem Auslachen solcher Laster, die grundsätzlich reparabel sind, so dass das Auslachen nicht das letzte Wort sein muss. Aber Paul mogelt unter dem eigentlich falschen Begriff des Lächerlichen einen neuen Begriff von Komik ein, nämlich die Kontrastkomik. Sie besteht in dem Zusammenprall des Allgemeinen mit dem Besonderen, etwa darin, dass der erhabene Geist sich schmerzvoll an der Tischkante stößt oder der pathetische Gang auf der Bananenschale sein Ende findet. Es ist dabei wichtig, zu sehen, dass die Theorie des Komischen in der Vorschule auf die Theorie des Christlich-Romantischen folgt. Jean Paul braucht eine Stoppregel für die romantische Unendlichkeit und er findet sie im komischen Kontrast. 

Diese Kontraposition von Unendlichkeit und Kontrastkomik setzt er auf eine sehr überraschende und gewöhnungsbedürftige Art und Weise mit der Theorie des Erhabenen in Verbindung. Im Erhabenen erhebt sich im Moment des Zerbrechens der Synthesisfunktion der Geisteskräfte der Mensch über seine Endlichkeit und gibt sich dem Intelligiblen anheim (so die Kurzfassung gemäß Kant). Diese Auffahrt von der zerbrechenden Endlichkeit in die unendliche Dimension der Intelligibilität dreht Jean Paul um. Sein wunderbares Theoriebild ist der Vogel Merops, ein Kolibri, der bekanntlich den Nektar aus der Blume saugt, indem er kopfüber fliegt. Sein Aufstieg nach oben geht also mit dem Hintern zuerst von statten, während er, aufsteigend, auf die Welt unter ihm blickt. Je höher er fliegt, desto deutlicher wird ihm das absurde und falsche Treiben der Welt, sodass er über das Gesehene anfängt zu lachen. Seine Himmelfahrt – der Aufstieg des Erhabenen – passiert also verkehrt herum. Aus der Perspektive Gottes ist insofern nur ein Hintern zu sehen. Der Vogel Merops lacht, aber sein Lachen ist kein Akt der Befreiung, sondern einer der Verzweiflung. Die erlösende Himmelfahrt bleibt ihm verwehrt infolge seiner verdrehten metaphysischen Positionalität, sodass nur die sowohl komische wie verzweifelte Erkenntnis von der Falschheit der Welt übrigbleibt. Ich bin ja durchaus davon überzeugt, dass Jean Paul Anhänger der Gnosis gewesen ist, also letztlich die Welt als im Grunde misslungene Konstruktion betrachtet, als bedauerlichen Betriebsunfall der Schöpfung, als Instantiierung von sinnloser Negativität. Darüber lacht der Vogel Merops so verzweifelt, dass er zugleich weint. Das ist der Humor im Sinne von Jean Paul.

Man sieht sofort, dass dieser Humor zuinnerst angewiesen ist auf eine sehr konkrete Wahrnehmung der Welt. Jean Pauls Rabulistiken, seine satirischen Listen, seine intensiven Dingkonstellationen, seine schier unerschöpfliche Erfindungskraft in Sachen misslingender Kommunikation und grotesk schieflaufender Situationen resultiert aus der Grundannahme, dass die Welt als solche misslungen ist. Dem Ironiker sind solche Aussagen nicht zugänglich. Es wird nun klar, dass der Humor eine prinzipiell andere Justierung von Referenzen vornimmt als die Ironie. Der Humor braucht die Fremdreferenz auf die Welt, um deren Material in seine Selbstreferenzen einzuspielen. Die Ironie braucht die Selbstreferenz des Geistes, um dessen Reichtum als Darstellung von Gewinn und Entzug zugleich zu benutzen. Man kann vielleicht sagen, dass der Humor einerseits deutlich realistischer ist als die Ironie und andererseits zugleich deutlich metaphysischer.

Romantische Ironie und Humor sind also so weit vergleichbar, als dass sie beide hochmoderne Formen des Selbstbezugs ausformulieren. Im Ergebnis können Sie sich also annähern, bis hin zu solchen Missverständnissen, Tiecks relativ harmlose Inszenierungsspiralen mit der frühromantischen Ironie oder dem Humor in Beziehung setzen zu wollen. Aber abgesehen von solchen recht oberflächigen Effekten der Konvergenz besteht doch eine tiefgreifende Divergenz. Der Humor ist sowohl konkretistisch als auch metaphysisch, die romantische Ironie ist Ausbuchstabierung einer Rhythmik von Affirmation und Negation im Bereich des Geistes.
Aus dieser Differenzbestimmung heraus wird auch deutlich, warum Jean Paul – man entschuldige meine entschiedene Parteinahme – literarisch mehr zu bieten hat als die gesamte Frühromantik zusammengenommen. Dem Humor ist die Extension der gesamten Welt gerade genug, zum Mittel der Selbstdarstellung genommen. Die Ironie hingegen kann nicht anders, als ihre Referenznahme zugleich als Schein zu wissen und sich folglich zu wässrigen Allegorien zu verflüchtigen. Jean Pauls Szenarien des Misslingens und der Negativität besitzen eine literarische Intensität, die in der Romantik kaum je erreicht werden konnte. E.T.A. Hoffmann macht hier die Ausnahme. Aber er hat ja auch als Schüler Jean Pauls angefangen…

JS: Mir ist Ihre Unterscheidung zwischen Humor und Ironie deutlich geworden: Während die romantische Ironie, bei der Differenzerfahrung zwischen Subjekt und Absolutem die Handlungsmacht des Subjekts hervorhebt, wird sie im Humor durch eine Kontrasterfahrung zwischen Endlichen und Unendlichem ausgelöst. Dies illustriert ihr Bild vom gedankenversunkenen Spaziergänger, der plötzlich auf einer Bananenschale ausrutscht. Die Ironie und deren Komik würden dagegen mehr in einem Subjekt bestehen, das sich in seinen eigenen Reflexionen in Selbstwidersprüche und Paradoxien verheddert.

 

Der zweite Teil des Gesprächs ist unter dem folgenden Link zu finden: https://www.gestern-romantik-heute.uni-jena.de/kultur/artikel/ein-wort-zu-jean-paul